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Dok. 11993 7. August 2009 Behaupteter politisch motivierter Missbrauch des Strafrechtssystems in Mitgliedstaaten des Europarats Bericht Ausschuss für Recht und Menschenrechte
Berichterstatterin: Frau Sabine LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER,
Deutschland, Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa Zusammenfassung Der Ausschuss für
Recht und Menschenrechte Der Entschließungsentwurf legt dar, wie
Politiker in vier
Staaten, die die Hauptformen des Strafrechtssystems in Europa
verkörpern, in
Strafverfahren eingreifen können, wobei bedeutende Rechtssachen
wie die
Niederschlagung der Betrugsermittlungen bei British Aerospace und der
„Cash for
honours“-Skandal im Vereinigten
Königreich oder der zweite
Chodorkowski-Prozess und die Mordfälle
HSBC/Hermitage Capital und Politkowskaja in der Russischen
Föderation
analysiert werden. Außerdem verlangt der Ausschuss • im
Vereinigten
Königreich eine Reform der
Rolle des Attorney General, um seine
Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament zu erweitern und eine
Umkehr bei
der Finanzierung der Gerichtskostenhilfe (Legal Aid), damit eine
„Zwei-Klassen-Justiz“ vermieden werden kann; • in
Frankreich die Überprüfung der
vorgeschlagenen Abschaffung des juge
d’instruction (Untersuchungsrichter)
oder – sollte die Abschaffung ihren Gang gehen – zumindest eine
Stärkung der
Unabhängigkeit der Staatsanwälte, die diese Aufgabe
übernehmen sollen sowie
eine Erhöhung der dem gesamten Justizwesen und gerade auch den
Verteidigern zur
Verfügung stehenden Mittel; • in
Deutschland die Einrichtung von
„Justizräten“, wie es sie in den meisten anderen europäischen
Staaten gibt,
damit Richter und Staatsanwälte bei der Anwendung des Justizwesens
mehr
Mitsprache haben und den Ausschluss der Möglichkeit, dass
Justizminister in
Einzelfällen der Anklagebörde Weisungen erteilen können; • in
der Russischen Föderation eine Reihe von
Reformen zur Verminderung des politischen und hierarchischen Drucks auf
Richter
und zur Beendigung der Bedrängung von Verteidigern, um auf diese
Weise dem
„Rechtsnihilismus“ in der Russischen Föderation auch als
Voraussetzung für eine
erfolgreiche Zusammenarbeit
zwischen
russischen und anderen europäischen Strafverfolgungsbehörden
ein Ende zu setzen. A.
Entwurf einer
Entschließung 1.
Die
Parlamentarische Versammlung unterstreicht die grundlegende Bedeutung
des
Schutzes von Strafrechtssystemen in ganz Europa vor politisch
motivierten
Eingriffen, was die Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Freiheit
des
Einzelnen angeht. 2.
Die
erfolgreiche Zusammenarbeit
zwischen
Mitgliedstaaten des Europarats
auf
dem Gebiet der Strafjustiz (bei Fragen wie Auslieferung und
Beweiserhebung, wie
dies aus den einschlägigen Konventionen des Europarats
hervorgeht) hängt ab von dem gegenseitigen Vertrauen in die
grundlegende
Fairness der Strafjustizsysteme aller Mitgliedstaaten und das
Ausbleiben
politisch motivierter Missbrauchshandlungen. 3.
Die
Unabhängigkeit der Gerichte, rechtlich wie praktisch, ist die
Hauptverteidigungslinie gegen solche Missbrauchsfälle. 3.1. Die
Unabhängigkeit der Gerichte und jedes einzelnen Richters wird in
allen
Mitgliedstaaten des Europarats
grundsätzlich anerkannt. Das sollte sich auch in den Verfassungen
der Staaten niederschlagen.
Wirkliche richterliche Unabhängigkeit setzt außerdem eine
Reihe rechtlicher und
praktischer Sicherungen voraus, darunter 3.1.1. die
Einstellung und Beförderung von Richtern allein nach ihrem
Verdienst (Qualifikation,
Integrität, Fähigkeiten und Effizienz); 3.1.2. den
effektiven
Schutz vor unfairen Disziplinarmaßnahmen (vor allem einer
Entlassung); 3.1.3. Gehälter
und
Leistungen, die es den Richtern und ihren Angehörigen
ermöglichen, nicht auf
die Bereitstellung von Wohnraum oder anderen Vergünstigungen durch
die
vollziehende Gewalt angewiesen zu sein; 3.1.4. den
Schutz der
Unabhängigkeit der Richter gegenüber Gerichtspräsidenten
und Richtern von
Obergerichten, unter anderem durch die Zuweisung von Fällen nach
strengen
Regeln auf der Grundlage zuvor festgelegter objektiver Systeme, damit
den
Richtern einzelne Fälle nicht ohne gesetzlich genau umrissene
Begründung
entzogen werden können und indem sichergestellt wird, dass die
Beurteilung der
Leistung eines Richters nicht an dem Verhältnis der von
Obergerichten bestätigten
oder kassierten Urteile gemessen wird. 3.2. Staatsanwälte
müssen ihre Aufgaben ohne Einmischung aus dem Bereich der Politik
erfüllen
können. Sie müssen gegen Weisungen zu einzelnen Fällen
abgeschirmt werden,
zumindest dann, wenn solche Weisungen die gerichtliche Verwertung von
Ermittlungen verhindern würden. 3.3. Damit
die
praktischen Maßnahmen zur Sicherung der richterlichen
Unabhängigkeit effektiv
sind, könnte ein starker Justizrat bei der Überwachung der
Umsetzung der
richterlichen Unabhängigkeit eine bedeutsame Rolle spielen. 3.3.1. Justizräte
müssen entscheidenden Einfluss auf die Einstellung und
Beförderung von Richtern
und Staatsanwälten sowie auf gegen diese gerichtete
Disziplinarmaßnahmen
nehmen, und zwar unbeschadet der in manchen Verfassungen vorgesehenen
richterlichen Überprüfungsmechanismen. 3.3.2. Gewählte
Vertreter von Richtern und Staatsanwälten sollten mindestens
genauso zahlreich
wie von politischen Gremien benannte Mitglieder anderer
gesellschaftlicher
Gruppierungen sein. Die zuletzt erwähnten Mitglieder sollten
für alle
politischen Hauptströmungen des Landes reprräsentativ sein.
Die in vielen
Staaten geltende Praxis, Parlamentsausschüsse in die Benennung
bestimmter hoher
Richter einzubeziehen – was auch für die Wahl der Richter des
Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte
3.4.2. In
Staaten wie
Frankreich und Deutschland, in denen Staatsanwälte enger in
Hierarchien
eingebunden sind, müssen Richter und Verteidiger auch in der
Ermittlungsphase
eine aktivere Rolle spielen können.
4.1.
Vereinigtes
Königreich: 4.1.1. Der
kontradiktorische Charakter des Strafrechtssystems wird durch
beträchtliche,
wenn auch in letzter Zeit zurückgehende Mittel untermauert, die
für
Prozesskostenhilfe zur Verfügung stehen, um auf diese Weise
für
Waffengleichheit zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung
zu
sorgen; 4.1.2. die
althergebrachte Kultur der Unabhängigkeit und
Professionalität der Richter und
Staatsanwälte wird durch ihren hohen Sozialstatus gestützt
und durch die vor
kurzem erfolgte Einsetzung der Judicial Appointments Commission
zusätzlich
unterstrichen; 4.1.3. die
traditionell aktive Überwachung der Regierung durch das Parlament
sowie die
lebendige, pluralistische und freie Medienlandschaft sind ebenfalls zu
erwähnen; 4.1.4. Fälle
aus
jüngerer Zeit (darunter British Aerospace und „Cash for Honours“)
haben
deutlich gemacht, dass die Rolle des Attorney General geändert und
geklärt
werden muss; ein entsprechender Reformvorschlag wird zurzeit diskutiert.
4.2.1. Die
überkommenen inquisitorischen Strafjustizsysteme sind mittlerweile
stärker
kontradiktorisch geprägt, doch sind die Mittel für
Prozesskostenhilfe in beiden
Ländern nicht entsprechend erhöht worden; außerdem
haben Verteidiger in
Frankreich immer noch nicht den gleichen Zugang zu dem Beschuldigten
und den
Vorermittlungen vor dem Prozess wie ihre Berufskollegen in dem Vereinigten Königreich und in
Deutschland; 4.2.2. die
Unabhängigkeit der Richter wird nach dem Gesetz wie in der Praxis
geachtet,
doch ist es zu einer beträchtlichen Erosion ihres Sozialstatus
gekommen; 4.2.3. in
beiden
Staaten ist die Unabhängigkeit der Staatsanwälte weitaus
weniger entwickelt als
im Vereinigten Königreich;
vor kurzem
beklagten leitende Staatsanwälte und gewählte Vertreter von Richtern und Staatsanwälten in Frankreich eine deutliche Verschlechterung
in der Praxis; 4.2.4. der
französische Conseil Supérieur de la
Magistrature, welcher für Richter und in geringerem Maße
auch für Staatsanwälte
eine wichtige Rolle in Laufbahn- und Disziplinarangelegenheiten
spielt, kennt in Deutschland 4.2.5. die
vorgeschlagene Abschaffung des juge
d’instruction in Frankreich und die Übertragung des
Großteils seiner
Zuständigkeiten auf die Staatsanwaltschaft werden weithin als
Versuch der
politischen Instanzen betrachtet, ihren Einfluss auf den Umgang mit
sensiblen
Rechtssachen zu erweitern; 4.2.6. in
beiden
Ländern bilden die Parlamente und unabhängige Medien ein
recht festgefügtes
Bollwerk gegen einen Missbrauch des Strafrechtssystems durch die
Exekutive.
4.3.1. Deutliche
Verbesserungen des Sozialstatus von Richtern und Staatsanwälten
haben in den
letzten Jahren ihre Abhängigkeit von Exekutivorganen im Hinblick
auf Wohnraum
und andere Grundbedürfnisse fast völlig beseitigt und
dürften zu einem Rückgang
der Korruption in der Richterschaft beitragen; 4.3.2. Gesetzgebungsreformen
unter Berücksichtigung europäischer Standards
einschließlich der Schaffung
eines föderalen Richterrates für Laufbahn- und
Disziplinarfragen haben die
rechtliche Stellung der Richterschaft gestärkt; 4.3.3. die
Einsetzung
des gesonderten Ermittlungsausschusses bei der
Generalstaatsanwaltschaft
könnte deren Übergewicht im strafrechtlichen Prozess mit der
Zeit etwas
abschwächen; 4.3.4. die
althergebrachte Unterwürfigkkeit vieler Richter und
Staatsanwälte ist noch
nicht ganz überwunden; vielmehr unterliegen Richter nach einem
ermutigenden
Neuanfang Anfang der 1990er Jahre einem zunehmenden Druck, in fast
allen von
der Staatsanwaltschaft vor Gericht gebrachten Fällen eine
Verurteilung
auszusprechen; 4.3.5. zu
den
Druckmitteln gehören immer noch inoffizielle Methoden der alten
Zeit wie
„Telefonjustiz“, aber auch amtliche Mechanismen der Leistungsbewertung
und
Disziplinierung. Die Zahl der aus
verschiedenen Gründen ihres Amtes enthobenen Richter ist
vergleichsweise hoch. Gerichtsvorsitzende
haben unverhältnismäßig viel Macht über
Einzelrichter, vor allem wegen ihrer
Befugnis, über die Zuweisung von Fällen zu entscheiden. Der
gesetzliche Schutz
für Richter, die sich solchem Druck widersetzen, ist sehr
begrenzt, da die
Richterräte ihre Unabhängigkeit und ihre Stellung noch nicht
ausreichend
gesichert haben; 4.3.6. unabhängige
Juristen werden unter Verletzung russischer wie europäischer
Rechtsvorschriften
häufig Gegenstand von Untersuchungen und Beschlagnahmen sowie
anderer Formen des
Drucks; 4.3.7. eine
Reihe
hervorstechender Fälle, wie der zweite Prozess gegen
M. Chodorkowski und
P. Lebedew, die Verfahren gegen die Manager und Juristen von
HSBC/Hermitage,
die Ermittlungen über den Mord an A. Politkowskaja, die
Strafverfolgung
von J. Samodurow und die Entlassung der Richterin Kudeschkina und
mehrerer
anderer Richter, geben zu der Besorgnis Anlass, dass der von
Präsident
Medwedjew ausgerufene Kampf gegen den „Rechtsnihilismus“ noch
keineswegs
gewonnen ist; 4.3.8. das
Parlament
und die Medien bieten immer noch keine ausreichenden Sicherungen gegen
Missbrauch, auch wenn in jüngster Zeit offene Diskussionen in
bestimmten Medien
auif die Zukunft hoffen lassen.
5.1. ruft
die
Versammlung alle Mitgliedstaaten zu folgenden Maßnahmen auf: 5.1.1. weitere
Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit und der
Waffengleichheit zwischen
Staatsanwaltschaft und Verteidigung, insbesondere durch Bereitstellung
ausreichender Mittel für das Gerichtswesen unter Einschluss der
Prozesskostenhilfe, indem Verteidigern – auch
bei den Ermittlungen vor dem
Gerichtsverfahren – starke Verfahrensrechte eingeräumt
werden und die
gerichtliche Selbstverwaltung gestärkt wird; 5.1.2. Sicherstellung,
dass die für Beschlüsse über Auslieferungen und andere
Formen der justiziellen Zusammenarbeit
zuständigen Stellen dem Grad
der Unabhängigkeit der Richterschaft in dem entsprechenden Staat – in
der
Praxis wie nach dem Gesetz – Rechnung tragen und eine Auslieferung immer
dann verweigern,
wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die betreffende Person in dem
ersuchenden Staat aller Wahrscheinlichkeit nach aus politischen
Gründen kein
faires Verfahren erwarten kann.
5.2.1. Unverzügliche
Durchführung der Reform der Rolle des Attorney General bei
gleichzeitiger
Erweiterung seiner Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament; 5.2.2. volle
Umsetzung der Konvention der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
über die Bestechung
ausländischer Amtsträger einschließlich
ihres Artikels 5; 5.2.3. Rückgängigmachung
der vor kurzem erfolgten Kürzung der für Prozesskostenhilfe
verfügbaren Mittel,
um das Entstehen einer Zwei-Klassen-Justiz zu vermeiden, in der nur die
Fähigkeit des Beschuldigten zählt, für eine effektive
Verteidigung zu zahlen.
5.3.2. allmähliche
Erhöhung der Gehälter der Richter und Staatsanwälte auf
ein Niveau, das der
Würde und Bedeutung ihres Amtes entspricht, bis sie (im Vergleich
mit dem
Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung) den Durchschnitt
aller
europäischen Staaten erreichen; 5.3.3. Aufstockung
der für Prozesskostenhilfe bereitstehenden Mittel entsprechend der
Einführung
stärker kontradiktorisch geprägter Elemente in das
Strafjustizsystem; 5.3.4. Erwägung,
innerhalb des Conseil Supérieur de la
Magistrature wieder eine Mehrheit von Richtern und
Staatsanwälten
einzuführen oder sicherzustellen, dass zu den von politischen
Gremien ernannten
Mitgliedern auch Vetreter oppositioneller Kräfte gehören und
dass die
Stellungnahme des Conseil Supérieur de la
Magistrature auch in Bezug auf Entscheidungen über
Staatsanwälte bindende
Wirkung erhält. 5.4. Die
Versammlung
fordert Deutschland
zu folgenden
Maßnahmen auf: 5.4.1. Erwägung
der
Errichtung eines gerichtlichen Selbstverwaltungssystems unter
Berücksichtigung
der föderalen Struktur der justiziellen Selbstverwaltung und
entsprechend dem
Beispiel der in der übergroßen Mehrheit der
europäischen Staaten bestehenden
Gerichtsräte, um auf diese Weise die künftige
Unabhängigkeit der Gerichte zu
sichern; 5.4.2. allmähliche
Anhebung der Gehälter von Richtern und Staatsanwälten und
Aufstockung der für Prozesskostenhilfe
verfügbaren Mittel (wie dies in den obigen Ziffern 5.3.2. und
5.3.3. für Frankreich
empfohlen wird); 5.4.3. Abschaffung
der Justizministern eingeräumten Möglichkeit, den
Strafverfolgern in einzelnen
Fällen Weisungen zu erteilen; 5.4.4. Ausbau
der
gesetzlichen wie der praktischen richterlichen Überwachung der
Wahrnehmung der
erweiterten Befugnisse von Staatsanwälten, insbesondere bei der
Terrorismusbekämpfung; 5.5. Die
Versammlung
fordert 5.5.2. Stärkung
der
Unabhängigkeit des Justizrats und der Transparenz seiner Verfahren; 5.5.3. Stärkung
des
Systems der Zuweisung von Fällen zwischen Gerichten oder an
einzelne Richter
oder Kammern der Gerichte, um so jedes „forum shopping“ der
Staatsanwaltschaft
und jeden diesbezüglichen Ermessensspielraum der
Gerichtsvorsitzenden
auszuschließen; 5.5.4. Förderung
der
Entwicklung eines Geistes der Unabhängigkeit und der kritischen
Analyse in der
Juristenausbildung im Allgemeinen und der Aus- und Weiterbildung von
Richtern
und Staatsanwälten im Besonderen und Ergreifen
nachdrücklicher Sanktionen gegen
lokale, republikanische oder föderale Bedienstete, die weiterhin
versuchen,
Richtern Weisungen zu erteilen sowie gegen Richter, die sich um solche
Weisungen bemühen; 5.5.5. effektiver
Schutz von Verteidigern vor Durchsuchungen und der Beschlagnahme von
Dokumenten, die unter die besonderen Beziehungen zwischen Anwalt und Mandant
fallen, sowie vor anderen Formen des Drucks, darunter
missbräuchliche
Strafverfolgung und administrative Belästigung; 5.5.6. Stärkung
der
Unabhängigkeit der Medien und Ermutigung letzterer zu Recherchen
und
Veröffentlichungen in Bezug auf Fälle des mutmaßlichen
politisch motivierten
Missbrauchs des Strafrechtssystems. 6.
Die Versammlung
ruft die Europäische Kommission für Demokratie durch das
Recht (Venedig-Kommission)
und die Europäische Kommission für die Effizienz der Justiz
(CEPEJ) dazu auf,
auch weiterhin die Unabhängigkeit der Richterschaft in ganz Europa
aufrechtzuerhalten und sich für die Unterstützung von in
Schwierigkeiten
geratenen Kollegen und gegen politisch motivierte Einmischungen
auszusprechen,
wo immer sie erfolgen mögen.
B.
Erläuternder
Bericht von Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Berichterstatterin
Inhalt
i. Das
englische Modell ii.... Das
französische Modell iii... Das
deutsche Modell iv. Zurechnung
von Staaten zu den ersten drei Modellen v. Immer
noch ein System sui generis: die
Russische Föderation a. Historische
Wurzeln b. Druck
auf Richter –
Verurteilungsdruck c. Die
Ansichten der
Führung des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation d. Schwurgerichte
– ist
eine entscheidende Reform bedroht? e. Verteidiger
– ein
Risikoberuf? f. Unzulängliche
Sicherungsmaßnahmen während des Verfahrens g. „Rechtsnihilismus“
– zwei typische Fälle ·
Die Jukos-Prozesse – Michail
Chodorkowski, Platon Lebedew und andere ·
HSBC/Hermitage Capital ·
Andere Fälle vermuteter
politischer Eingriffe in strafrechtliche Verfahrensabläufe III.
Der Begriff der „politisch motivierten
Missbräuche“ des
Strafrechtssystems i. Diskriminierung ii. Öffentliche
Erklärungen hochgestellter Vertreter der Exekutive zur Schuld der
Angeklagten iii. Unzureichend
spezifizierte oder sich ständig ändernde Anklagepunkte iv. Mangelnde
Unabhängigkeit des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft IV.
Folgen für die Umsetzung der Übereinkommen
des Europarats V.
Schlussfolgerungen I.
Einführung 1. Der Antrag, der dem vorliegenden
Bericht – Missbrauch des Strafrechtssystems in Mitgliedstaaten des Europarats – zugrundeliegt,
deckt thematisch
wie geografisch ein weites Feld ab. Ich habe deshalb in dem
einführenden
Bericht [1]
versucht, in einem noch zu bewältigenden Rahmen zu bleiben, der
sich in einem
Bericht für die Parlamentarische Versammlung sinnvoll angehen
lässt. „anhand konkreter Beispiele mögliche
Missbräuche des
Strafrechtssystems in Mitgliedstaaten und deren Auswirkung auf das
Funktionieren der entsprechenden Rechtsinstrumente des Europarats zu untersuchen, um
Empfehlungen für Verbesserungen
entsprechender Rechtsinstrumente des Europarats
sowie einzelstaatlicher Vorschriften und Praktiken abzugeben” 3. Entsprechend der Absprache im
Ausschuss für Recht und Menschenrechte II.
Fact-finding-Besuche in London, Paris, Moskau und
Berlin: Sammlung
einschlägiger 4. Wie in dem einführenden Bericht
bereits angekündigt, habe ich mich einer Klassifizierung der
Strafrechtssysteme
in Europa danach bedient,, ob sie sich auf ein stärker
„kontradiktorisches“
oder ein eher „inquisitorisches“ [2]
Verfahrenssystem stützen – wobei zuerst einmal davon ausgegangen
wurde, dass
„kontradiktorische“ Elemente eine bessere Absicherung gegenüber
politisch
motivierten oder in anderer Form missbräuchlichen Einmischungen
ermöglichen. Ich
empfand dieses Vorgehen als nützlich, um etwas Ordnung in die
Untersuchung der
verschiedenen Strafrechtssysteme in Europa zu bringen. Diese lassen
sich in
vier Gruppen einteilen: Eine ist überwiegend kontradiktorisch, die
zweite
vorwiegend inquisitorisch, eine dritte verquickt inquisitorische und
kontradiktorische Bestandteile, und schließlich gibt es noch eine
vierte
Gruppe, die – unabhängig von ihren formalen Merkmalen
– in der
Praxis stark von der sowjetischen Rechtstradition beeinflusst wird. 5. In den als kontradiktorisch
beschriebenen Systemen sind die Parteien – der
Angeklagte (oder zumeist der
jeweilige Anwalt) und die Staatsanwaltschaft für die
Prozessvorbereitung der
Rechtssache zuständig, und der Richter oder der über die
Beschwerde
entscheidende Beamte (adjudicator) tritt wie bei einem
Fußballspiel als
Schiedsrichter auf, sorgt für die Einhaltung der Spielregeln
(Verfahrenserfordernisse) und entscheidet (oder prüft den
Beschluss eines
Geschworenengerichts) in der Frage der Schuld oder Unschuld des
Angeklagten
allein anhand der von den Parteien vorgelegten Beweismaterialien. In
solchen
Systemen werden sowohl die Garantien für die Unabhängigkeit
der Gerichtsbarkeit
als auch die aktive Rolle der Verteidiger als entscheidende Sicherungen
gegenüber einem möglichen Machtmissbrauch durch die Exekutive
betrachtet. Eine
Schwäche dieses Systems liegt darin, dass es sich weitgehend auf
die Qualität
und die Mittel stützt, über die die Vertreter der Gegenseite
verfügen. 6. In inquisitorischen Systemen
spielen Richter die entscheidende Rolle bei den Ermittlungen und der
Bestellung
und Einvernahme der Zeugen in dem Prozess, wobei die Staatsanwaltschaft
und die
Verteidiger bei dem Verfahren eher eine subsidiäre Rolle spielen.
In solchen
Systemen wird davon ausgegangen, dass im Allgemeinen angesichts der
Sicherungsmaßnahmen
zum Schutz der richterlichen Unabhängigkeit darauf vertraut werden
kann, dass
das Gerichtswesen neutrale Emittlungen des tatsächlichen
Sachverhalts anstellt.
Diese Annahme hält einer näheren Prüfung jedoch nicht
immer stand. 7. Diese breit angelegten Systeme
wurden in den entsprechenden Staaten selbst angepasst – insbesondere wegen der
missbräuchlichen Rolle des juge d'instruction in der
Ermittlungsphase der inquisitorischen Systeme; schließlich
können Richter genau
das gleiche Maß an Unzulänglichkeiten aufweisen wie
Parteienvertreter im
kontradiktorischen System. Anpassungsmaßnahmen wurden auch mit
Forderungen des
EGMR begründet, der in Artikel 6 der EMRK, gerade auch im
Hinblick auf
Waffengleichheit, zweifellos bestimmte kontradiktorische
Erfordernisse
festgelegt hat. 8. Ein wichtiges
Unterscheidungsmerkmal zwischen Strafrechtssystemen ist die mehr oder
minder
stark ausgeprägte Prävalenz des „Legalitätsprinzips“,
nach dem die Behörden zur
Verfolgung aller Straftaten verpflichtet sind, die zu ihrer Kenntnis
gelangen.
Nach dem Alternativmodell verfügen die Juustizbehörden
über einen
Ermessensspielraum („Opportunitätsprinzip der Strafverfolgung“).
Der
Unterschied ist in der Praxis oft nicht so wichtig, da vom
Legalitätsprinzip
ausgehende Staaten (wie Deutschland) ein gewisses Maß an
Flexibilität walten
lassen müssen, um eine rationelle Nutzung der justiziellen
Ressourcen zu
gestatten (z.B. durch die de minimis-Vorschrift) und
bestimmte
Tatbestände erst auf Antrag des Opfers verfolgt werden,
während die Staaten,
die einen Ermessensspielraum zulassen (wie Frankreich, England und
Wales) Verhaltenskodizes
oder allgemeine Leitlinien eingeführt haben, um die Wahrung des
öffentlichen
Interesses und die Gleichbehqandlung zu gewährleisten. Wie wir
jedoch sehen
werden, wirft jedes Ermessen stets die Frage auf, ob „politische“
Stellen die
Möglichkeit haben, seine Ausübung ganz allgemein
(grundsätzlich kein Problem)
oder in einzelnen Fällen (ein denkbares Einfallstor für
politisch motivierten
Missbrauch) zu beeinflussen. 9. Die oben erwähnten Anpassungen der
kontradiktorischen wie der inquisitorischen Strafrechtssysteme haben zu
einer
Aufteilung dieser Systeme in vier große Gruppen geführt: das
englische, das
französische und das deutsche [3]
sowie das russische System. Das erste deckt über weite Strecken
die
Common Law-Gerichtsbarkeit in Europa ab [4],
das zweite Modell gilt in vielen Staaten Europas auch außerhalb
Frankreichs
infolge des Einflusses des auf die Zeit Napoleons zurückgehenden
Systems. Bei
dem dritten System handelt es sich um einen neueren Ansatz, der einige
wesentliche Abweichungen von dem französischen Modell aufweist
(gerade auch
beim Legalitätsprinzip, ohne jedoch dem in England und Wales
vorherrschenden
rein kontradiktorischen System nahezukommen). Das vierte System ringt
immer
noch mit dem Erbe seiner sowjetischen Vergangenheit, zu dem die alles
überragende Rolle der prokuratura
(Staatsanwaltschaft)
und insbesondere in der konkreten Praxis Probleme mit der richterlichen
Unabhängigkeit gehören.
11. Während meines Besuchs im
März/April 2009 in London beeindruckte mich der
ausgeprägte Geist der Unabhängigkeit,
wie er sowohl in Gerichtskreisen als auch im Büro des Director of
Public
Prosecution (DPP) herrschte. Auf meine hypothetische Standardfrage, wie
er bei
einem Anruf aus der Downing Street reagieren würde, in dem ihm
gesagt würde,
wie er in einem bestimmten Fall vorzugehen habe, antwortete er ohne zu
zögern
vor seinen leitenden Mitarbeitern: „Ich würde ablehnen und wenn
der
Gesprächspartner insistieren sollte, würde ich
zurücktreten und meine leitenden
Mitarbeiter würden mir wohl folgen. Dabei ist es sehr
wahrscheilich, dass
innerhalb weniger Tage nach unserer Pressekonferenz, auf der wir unsere
Rücktrittsgründe erklären würden, die Regierung
stürzen würde…“ Seine
Mitarbeiter nickten zustimmend. Ich für mein Teil war von der
offenen Haltung des
Direktors recht beeindruckt. Mehrere Barristers und Solicitors hatten
angemerkt, allein schon die Ernennung dieses wegen seiner
Standhaftigkeit hoch
angesehenen Juristen demonstriere die politische Unterstützung der
Regierung
für die Unabhängigkeit dieses Amtes. 12. Die allgemeinen Grundsätze der
Arbeit des Crown Prosecution Service (CPS) sind in dem „Code“ [5]
niedergelegt, von dem sich alle Staatsanwälte, auch der DPP
selbst, in ihrer
Tagesarbeit leiten lassen. Da er der breiten Öffentlichkeit ohne
weiteres verfügbar
und klar und knapp abgefasst ist, stellt er ein wichtiges Hilfsmittel
dafür
dar, das Fairness und Transparenz gewahrt bleiben und dies auch
allgemein
wahrgenommen wird. 13. Der gleiche Geist der
Unabhängigkeit herrscht auch unter englischen Richtern. In ihrer
Stellung sind
sie traditionsgemäß vor jeder politischen Einflussnahme sehr
gut geschützt.
Nach meinen Gesprächen in London kann ich bestätigen, dass
die Verfahren zur
Ernennung und Beförderung von Richtern und – sehr
selten – für
Disziplinarmaßnahmen ein hohes Maß an Transparenz und
Objektivität
sicherstellen. 14. Die 2006 erfolgte Einsetzung der
Judicial Appointments Commission (JAC) im Zuge der Umsetzung des
Constitutional
Reform Act stärkt den Grundsatz der Unabhängigkeit der
Gerichte von politischer
Einflussnahme weiter, auch im Hinblick auf die Ernennung von Richtern.
Auch für
die Beförderung von Richtern gilt ein ähnliches, von einem
Panel getragenes
Verfahren. Die JAC gibt in ihrem letzten Jahresbericht [6]
stolz an, 2007/08 habe sie 2535 Anträge bearbeitet,
458 Richter
ausgewählt, und der Lord Chancellor habe alle ihre
Ernennungsempfehlungen
angenommen. Im Justizministerium wurde mir mitgeteilt, der Lord
Chancellor könne
die Empfehlungen 15. Im englischen Strafrechtssystem
gibt es jedoch noch einen weiteren Weg, über den in einzelnen
Fällen eine
politische Einflussnahme denkbar erscheint: die Rolle des Attorney
General. In
diesem Amt verbinden sich die Verwaltung des Rechtswesens und die
Bereitstellung unabhängiger Rechtsberatung mit den politischen
Verpflichtungen
eines Regierungsmitglieds. Der Amtsinhaber steht zugleich den
Staatsanwaltschaften in England und Wales vor. Als ich den DPP um
Erläuterungen
zu den Beziehungen zwischen seinem Amt und dem des Attorney
General bat, bekam
ich eine diplomatische Nichtantwort und wurde auf einen Bericht des
Verfassungsausschusses des Unterhauses über die
verfassungsmäßige Rolle des
Attorney General verwiesen [8].
Der Ausschuss stellte fest, „[d]as Beweismaterial, das wir in
Verbindung mit
der Rechtssache BAe zusammentrugen, war besonders aufschlussreich und
verdeutlichte die Spannungen, die mit der Doppelfunktion des Attorney
General und
vor allem den bisweilen undurchsichtigen Beziehungen mit der Staatsanwaltschaft
verbunden sind.” [9]
16.
Der Fall British Aerospace (BAe) wurde
in der Tat von allen meinen Gesprächspartnern in London
erwähnt, die ich nach
konkreten Beispielen für politisch motivierte Einmischung in das
Strafrechtssystem des Vereinigten
Königreichs fragte. Das
hervorstechendste Beispiel
mutmaßlicher politischer Einmischung in das Strafrechtssystem in
den letzten
Jahren war Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens, das gemeinsam von
Corner
House und der Campaign against the Arms Trade gegen die Entscheidung
des Director
of the Serious Frauds Office (SFO), Robert Wardle, angestrengt wurde,
keine
Strafverfolgung gegen BAe einzuleiten. Die Ermittlungen des SFO hatten
sich auf
Schmiergelder konzentriert, die BAe angeblich Mitgliedern der
saudiarabischen
Königsfamilie und der Regierung Saudi-Arabiens gezahlt hatte, um
sich eine
Reihe lukrativer Aufträge für Waffenverkäufe aus dem Vereinigten Königreich nach
Saudi-Arabien zu sichern – die oft so genannten
Al Yamamah-Rüstungsverträge. 17. Diese Korruptionsvorwürfe wurden
erstmals im September 2003 in einer überregionalen Zeitung
veröffentlicht, in
der es hieß, ein ehemaliger BAe-Mitarbeiter sei Anfang 2001 mit
Angaben über
einen „Schmiergeldfonds“ von 60 Mio. Pfund an das SFO
herangetreten,
Mittel, die BAe angeblich zur Finanzierung der behaupteten
Bestechungszahlungen
verwendete [10].
Festnahmen
erfolgten im November 2004. Ende 2005 unterließ BAe die Vorlage
der zwingend
vorgeschriebenen Unterlagen, mit denen das Unternehmen Einzelheiten
über seine
Offshore-Zahlungen an den Nahen Osten offenlegen sollte. 18.
Ende 2006, als die Ermittlungen
mindestens ein weiteres Jahr weiterzugehen drohten, begann BAe
Verhandlungen
über einen neuen Auftrag für den Verkauf von Eurofighter
Typhoons nach Saudi‑Arabien.
Der Auftragswert wurde auf £ 6-10 Mrd. geschätzt,
wodurch in Großbritannien
potenziell 5 000-10 000 Arbeitsplätze hätten
geschaffen werden
können. In spekulativen Pressemeldungen hieß es
anschließend, Saudi-Arabien
habe dem Vereinigten
Königreich eine Frist von
10 Tagen gesetzt, um die SFO-Ermittlungen
im öffentlichen Interesse auszusetzen, da der Auftrag sonst an
Frankreich gehen
werde [11].
Als Reaktion wurde eine PR-Kampagne durchgeführt, um deutlich zu
machen, wie
wichtig die Erlangung dieses Auftrags für die Schaffung von
Arbeitsplätzen in
Großbritannien sei. 19.
Im Dezember 2006 gab der Attorney
General (Lord Goldsmith) gab, die Ermittlungen würden aus
öffentlichem
Interesse und angesichts von Vorstellungen eingestellt, die ihm
gegenüber wie
auch gegenüber Herrn Wardle in Bezug auf die Notwendigkeit der
Gewährleistung
der nationalen und internationalen Sicherheit vorgetragen worden seien.
Lord
Goldsmith erklärte im Oberhaus: 20.
Andere waren nicht dieser Ansicht,
insbesondere nicht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD), die sich mit einer
förmlichen Beschwerde an das Foreign and Commonwealth Office
wandte und eine
Erklärung dafür verlangte, weshalb die Ermittlungen
eingestellt worden waren. Transparency
International und eine Reihe von Unterhausabgeordneten drängten
die Regierung
zur Wiederaufnahme der Ermittlungen, und in einem Zeitungsinterview
räumte Herr
Wardle ein, die Entscheidung, von einer Strafverfolgung abzusehen,
könnte „dem
Ruf des Vereinigten
Königreichs als Land, das
zur Ausrottung der Korruption entschlossen ist” [14]
geschadet haben. Im November 2007 wurde es zwei politischen
Interessengruppen
(Corner House und der Campaign against the Arms Trade) gestattet, eine
gerichtliche Überprüfung zu beantragen, um den Beschluss des
SFO, die
Ermittlungen fallen zu lassen, anzufechten. 21. In dem
erstinstanzlichen Urteil vom April 2008 entschied der High Court, das
SFO habe
mit der Einstellung der Ermittlungen gesetzwidrig gehandelt [15]. Der Gerichtshof übte
vernichtende Kritik an dem politischen Druck, der ausgeübt worden
war, um den
Verzicht auf eine Strafverfolgung zu erwirken und merkte an, dass „ein
so
trübes Bild der Ohnmacht des Gesetzes zumindest Bestürzung,
wenn nicht Empörung
hervorruft“. Der Gerichtshof verurteilte, wie Minister unter
„eklatanten
Bedrohungen“, die Zusammenarbeit
mit
den Saudis bei der Terrorbekämpfung werde zu Ende gehen, wenn die
Ermittlungen
nicht fallengelassen würden, „eingeknickt“ waren: Es war so,
erkärte das
Gericht, als sei der saudische Prinz Bandar [einer der angeblichen
Schmiergeldempfänger] „in die Downing Street Nr. 10 gegangen
und habe
erklärt ‚Hört auf damit!’”. Wird einer solchen Einmischung
nachgegeben, führte
der Gerichtshof aus, „werden lediglich die Mächtigen, die Inhaber
einer
wichtigen strategischen und politischen Stellung, zur Wiederholung
solcher
Drohungen ermutigt, in dem Wissen, dass die Gerichte sich bei dem
Beschluss
eines Staatsanwalts, eine Sache fallenzulassen, nicht einschalten
werden“. Die
Zeitung The Times beschrieb das
Urteil als „einen der am schärfsten formulierten Angriffe auf das
Handeln der
Regierung“ [16]. 22.
Im Hinblick auf Art und Ausmaß der
politischen Einmischung erscheinen folgende Punkte bemerkenswert, die
von dem
High Court herausgearbeitet und in dem überaus kritischen Bericht
der OECD über
das Vereinigte Königreich vom 16. Oktober 2008 [17] näher ergründet wurden:
-
Der
Gerichtshof vertrat die Auffassung, ganz offensichtlich hätten
weder Lord
Goldsmith, Herr Wardle noch irgendwer in der Regierung oder beim SFO
rechtmäßige alternative Vorgehensweisen als Reaktion auf die
saudischen
Drohungen geprüft – z.B. durch einen Hinweis gegenüber den
saudischen Behörden
auf die Unabhängigkeit des SFO oder eine Vorlage beim
VN-Sicherheitsrat mit
einem Hinweis auf die ausgesprochene Drohung, die Zusammenarbeit bei der
Terrorismusbekämpfung zu verweigern. 23.
Am 30. Juli 2008 verwarf das
Oberhaus einstimmig die Entscheidung des High Court und erklärte, der Beschluss über die Einstellung der
Ermittlungen sei rechtmäßig gewesen. [18] Das Oberhaus stellte fest, die
Gerichte im Vereinigten Königreich hätten sich im Laufe der
Geschichte generell
zögerlich gezeigt, Entscheidungen bei Ermittlungen im Zuge der
Strafverfolgung
zu überprüfen. Der High Court sei jedoch gegen diesen Trend
angegangen, indem
er andeutete, die in dem vorliegenden Fall anstehende Thematik sei auf
saudische Bedrohungen der Rechtsstaatlichkeit zurückzuführen.
Der High Court hatte
die Auffassung vertreten, sollte die Bedrohung die Strafgerichtsbarkeit
in
Großbritannien beeinträchtigen, seien die Gerichte
verpflichtet, die erforderlichen
Schritte zu prüfen, um die Integrität des Strafrechtssystems
zu erhalten. Wie
oben schon angegeben, war der High Court zu dem Schluss gelangt, ein
Nachgeben
angesichts einer Drohung wäre nur gesetzmäßig, wenn
sich nachweisen ließe, dass
dem Entscheider keine rechtmäßige Handlungsalternative zu
Gebote stand. 24.
Dieser Grundsatz wurde von dem
Oberhaus mit der Begründung zurückgewiesen, hierfür
lägen keine Präzedenzfälle
vor und er lenke von der richtigen Frage ab, der nämlich, ob
Herr Wardle seinen
Ermessensspielraum überschritten habe, indem er das
öffentliche Interesse an
der Fortsetzung der Ermittlungen und das damit konkurrierende
öffentliche
Interesse am Schutz des Lebens britischer Staatsbürger durch
Einstellung der
Ermittlungen gegeneinander abwog. Das Oberhaus erkannte an, dass er mit
der
„häßlichen und natürlich unerwünschten Drohung“
konfrontiert gewesen sei, Saudi-Arabien
könne seine Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung
einstellen, was das
Leben britischer Staatsbürger hätte gefährden
können. Dementsprechend bedeute
die beschlossene Einstellung der Ermittlungen „keine Verletzung der
Rechtsstaatlichkeit“ und „es (sei) in der Tat zu bezweifeln, ob ein
verantwortungsbewusster Entscheidungsträger […] hätte anders
entscheiden
können“. 25.
Unbeschadet der Entscheidung des
Oberhauses gelten viele kritische Anmerkungen des High
Court und der OECD auch weiterhin, insbesondere
die Bedenken der OECD wegen der durch die bisweilen
widersprüchlichen
politischen und rechtlichen Funktionen des Attorney General
aufgeworfenen
verfassungsrechtlichen Probleme und zugleich das notorische Zögern
des Vereinigten
Königreichs bei der Umsetzung des von ihr ratifizierten
Übereinkommens. Die
gegensätzlichen Entscheidungen des High Court und des Oberhauses unterstreichen
vielleicht, wie schwierig es ist, konkurrierende öffentliche
Interessen
gegeneinander abzuwägen, wenn zu entscheiden ist, ob in politisch
bedeutsamen
Fällen eine Strafverfolgung erfolgen soll. Wie das Oberhaus
anerkannte, müsste
der Entscheidungsträger jeden Beweis oder Ratschlag unter die Lupe
nehmen, um
ihn auf Richtigkeit zu überprüfen und angemessen zu
gewichten. Es lassen sich
jedoch leicht die Probleme vorstellen, vor denen Entscheider stehen
dürften,
denen behauptete Bedrohungen der nationalen Sicherheit entgegengehalten
werden.
Solche Behauptungen sind oft nicht spezifisch genug, und wer sie
aufstellt,
dürfte kaum bereit sein, viel über die den Aussagen zugrunde
liegenden
Tatsachen preiszugeben oder gar Entscheidungsträgern handfeste
Beweise zu
liefern. 26.
Wie immer die genaue Verbindung
zwischen Fragen der nationalen Sicherheit und kommerziellen
Erwägungen
ausgesehen haben mag, aus der die saudischen Drohungen hervorgingen und
die
wiederum den Ratschlag beeinflussten, den Herr Wardle erhielt,
jedenfalls
lebten die Ermittlungen im Juni 2007 wieder auf, als das
Justizministerium der Vereinigten
Staaten eigene Ermittlungen zu Al Yamamah aufnahm und Behauptungen
nachging, eine Bank in den USA sei eingeschaltet worden, um Zahlungen
an den
saudischen Prinzen Bandar weiterzuleiten. Die Ermittlungen der
Vereinigten
Staaten sind noch im Gange. 27.
Der andere hochbedeutende Fall,
der zur Einleitung der Untersuchung über die Rolle des Attorney
General beitrug,
sind die Ermittlungen in der Rechtssache „Cash for honours“. 28.
Mit „Cash for honours“ wurde der
politische Skandal im Vereinigten Königreich in den Jahren 2006
und 2007 bezeichnet,
bei dem es um die Verbindung zwischen Parteispenden und der Vergabe von
Adelstiteln auf Lebenszeit ging. Ein Schlupfloch im britischen
Wahlgesetz
bringt es mit sich, dass zwar selbst kleine Geldspenden an eine
politische
Partei offiziell deklariert werden müssen, die Kreditvergabe zu
marktüblichen
Zinssätzen jedoch nicht öffentlich angegeben werden muss.
Während der polizeilichen
Ermittlungen wurden verschiedene Mitglieder aller drei großen
Parteien
(darunter auch Premierminister Tony Blair) verhört und der
Hauptspendensammler
der Labour Party, Lord Levy, zweimal festgenommen. Schließlich
gelangte der
Crown Prosecution Service zu der Ansicht, eine Strafverfolgung sei
nicht
angezeigt: In der Entscheidung hieß es, zwar könnten
Adelsprädikate im
Austausch gegen Kredite vergeben worden sein, doch habe man keine
unmittelbaren
Beweise für eine vorherige Absprache darüber finden
können, was die
Voraussetzung für eine erfolgreiche Strafverfolgung darstelle. 29.
Unter dem Blickwinkel
politisierter strafrechtlicher Ermittlungen ist der Skandal insofern
relevant,
als beide Seiten – die Politiker, gegen die ermittelt wurde und die
ermittelnden Polizeibeamten – unrechtmäßige Einmischung in
die Arbeit der
jeweils anderen Seite geltend machten. Zum einen sollen sich in der
Labour
Party einige beschwert haben, mit den polizeilichen Ermittlungen, die
der
Partei ihre Finanzmittel nahmen, nachdem die Kredite zurückgezahlt
werden
mussten, sei versucht worden, der persönlichen Reputation
bestimmter Politiker
Schaden zuzufügen und sie seien bewusst hervorgeholt worden, um
die Kampagne
der Partei in der Zeit unmittelbar vor Gordon Browns Amtsantritt als
Premierminister
und der möglichen Ankündigung von Parlamentswahlen zu
behindern. Zum anderen
teilte der mit den Ermittlungen betraute leitende Polizeibeamte dem
Sonderausschuss des Unterhauses für öffentliche Verwaltung
mit, einige
Politiker hätten auf ihn „starken Druck“ ausgeübt und die
Ermittlungen als
„politisches, nicht als strafrechtliches Problem“ behandelt. [19] 30.
Solche gegenseitigen
Beschuldigungen sind möglicherweise unvermeidlich, wenn
strafrechtliche
Ermittlungen sich unmittelbar auf das Handeln von Politikern
konzentrieren,
deren berechtigtes Interesse daran, sich gegen strafrechtliche
Vorwürfe zu
verteidigen, von anderen fast immer als politische Einmischung in das
jeweilige
Strafverfahren dargestellt werden kann. Der Skandal unterstrich
allerdings einmal
mehr das kontroverse Handeln von Lord Goldsmith, der darauf bestand
mitzuentschieden, ob Tony Blair und andere Politiker angeklagt werden
sollten –
ungeachtet des potentiellen Interessenkonflikts aufgrund seiner engen
Beziehung
zu dem Premierminister und der Labour Party. Lord Goldsmith versuchte
auch, die
BBC an der Veröffentlichung eines Berichts über den Skandal
zu hindern, in dem
ein Briefwechsel zwischen der Downing Street und Lord Levy über
Spenden
offengelegt wurde. Auch wenn die E-Mail schließlich
veröffentlicht wurde,
nachdem wohlgemerkt die Polizei dem Crown Prosecution Service ihren
Bericht
vorgelegt hatte, löste der Versuch von Lord Goldsmith, ihn zu
unterdrücken, in
weiten Kreisen Empörung über eine „Vertuschung“ von
Beweismaterial zu Lasten
der Labour Party sowie weitere Kritik an der Unvereinbarkeit der
politischen
und der rechtlichen Aufgaben des Attorney General aus. 31.
Als Gordon Brown im Juli 2007
Premierminister wurde, gab er bekannt, „die Rolle des Attorney General,
die
rechtliche und ministerielle Funktionen verbindet, (müsse) sich
ändern“. Das
führte zu einer amtlichen öffentlichen Anhörung
über die Rolle des Attorney
General, um sicherzustellen, dass „das Amt weiterhin das Vertrauen der
Öffentlichkeit genießt“. Bei der Übernahme des Amtes
von Lord Goldsmith schien
der neue Attorney General, Lady Scotland, auch zu akzeptieren, dass
ihre Rolle
sich würde ändern müssen. Allerdings scheint das
Constitutional Reform Bill, das
Anfang 2008 im Gemeinsamen Ausschuss des Unterhauses geprüft wurde
und im Laufe
dieses Jahres im Parlament erörtert werden soll, kaum einen
Unterschied
auszumachen: Der Gesetzentwurf ist so abgefasst, dass der Attorney
General weiterhin
die Befugnis hat, Ermittlungen des SFO zu unterbinden und
strafrechtliche Verfolgungen
einzustellen. Lord Falconer, früher Lord Chancellor, bezeichnete
den
Gesetzentwurf als „verpasste Gelegenheit“ und setzte hinzu, dass „der
Attorney
General mit seinen Ratschlägen zu Fragen des öffentlichen
Interesses gegenüber
dem Parlament rechenschaftspflichtig sein sollte, damit bei einer
einzelnen
Strafverfolgung kein politischer Druck zu erkennen ist.“ [20] 32. Dieser
eher
behutsame Reformvorschlag hält die Vorrechte des Attorney General
effektiv
aufrecht, was die Überwachung der CPS und des SFO angeht, wobei
die Wahrnehmung
dieser Vorrechte die „rote Linie“ unstatthafter politischer Einmischung
überschreiten mag oder auch nicht. Er entspricht der „Reaktion der
Regierung
auf den oben erwähnten Bericht über die
verfassungsmäßige Rolle des Attorney
General“ [21], in dem einige, aber nicht alle Empfehlungen
des Ausschusses
angenommen werden. Insbesondere „schlägt (die Regierung) vor,
„gesetzgeberisch
ausdrücklich vorzusehen, dass der Attorney General in einem
einzelnen Fall
keine Weisungsbefugnis für eine Strafverfolgung oder deren
Unterbleiben besitzt
(außer wenn es um die nationale Sicherheit geht).“ [22] Das Gesetz „schreibt dem Attorney
General vor, jede Ausübung der Befugnis sobald wie möglich
dem Parlament zu
berichten (außer wenn zum Schutz der nationalen Sicherheit eine
Verzögerung
nicht zu vermeiden ist).” Was die „inhärenten Spannungen“ zwischen
den
verschiedenen Aufgaben des Attorney General angeht, ist die Regierung
der
Ansicht, dass die „Synergie zwischen den Funktionen des Attorney
General bedeutet,
dass ihre Konzentration in einem einzigen Amt die Ausübung einer
jeden von
ihnen stärkt“. Insgesamt gesehen „nimmt (die Regierung) die
Bedenken des
Ausschusses und einiger Antragsgegner zur Kenntnis, wonach die
Zusammenlegung
dieser Aufgaben den Eindruck erweckte, es könne zu einem
Interessenkonflikt
kommen“, wobei sie den Antragsgegnern zustimmt, die der Auffassung
waren, dass „eine
Fehlwahrnehmung … eine schwache Grundlage für eine Reform (ist)“
(Lord Lloyd of
Berwick) [23]. 33. Meiner
Ansicht
nach geben die Befugnisse des Attorney General in Bezug auf einzelne
Fälle potenziell
zu Bedenken Anlass – selbst nach dem Inkrafttreten der vorgeschlagenen
Reform. Zwar
wird klargestellt werden, dass diese Befugnisse sich auf
„außergewöhnliche“
Fälle beschränken müssen, doch bergen gewöhnlich
gerade diese
„außergewöhnlichen“ Fälle im Grenzbereich zwischen
Politik und Korruption die
größte Versuchung einer „politisch motivierten” Einmischung.
Der Begriff der
Staatssicherheit lässt sich auf verschiedenste Art auslegen, und
die Ansichten
des Oberhauses in der Rechtssache BAe [24] bieten der Regierung viel
Spielraum. Naheliegende Abhilfemaßnahmen sind Transparenz und
Rechenschaftspflicht. Es ist darum unglücklich, dass die
vorgeschlagene
Verpflichtung des Attorney General zur zeitnahen Berichterstattung vor
dem
Parlament über die Inanspruchnahme seiner Vorrechte wiederum einer
„Ausnahmeregelung für die nationale Sicherheit“ unterliegt. 34. Wie
es in
Ländern wie dem Vereinigten Königreich oft der Fall ist, wo
das Rechtssystem
„seit unvordenklichen Zeiten“ von einem Fall zum nächsten
gewachsen ist, sind
in der Praxis ausdrückliche Rechtsvorschriften häufig weniger
wichtig als die
althergebrachte Kultur der Unabhängigkeit und der Stärke der
Persönlichkeiten,
denen hohe Stellungen anvertraut wurden und die ihre Aufgaben unter dem
prüfenden Auge eines seine Überwachungspflicht sehr ernst
nehmenden Parlaments
und lebendiger, unabhängiger Medien erfüllen. Vor diesem
Hintergrund finde ich
die Lage im Vereinigten Königreich im Allgemeinen annehmbar. Ich
neige
allerdings dennoch zur Unterstützung der Schlussfolgerungen des
Sonderausschusses
für Verfassungsfragen und würde mich in der Rechtssache BAe
eher auf die Seite
des High Court als auf die des Oberhauses stellen – eine Position, die
ich auch
gerne in der Entschließung der Versammlung wiederfinden
möchte. ii.
Das
französische Modell 35. In
dem
französischen System werden die Ermittlungen in einer Rechtssache
und die
Beweisaufnahme in schwerwiegenden oder sehr komplexen Fällen (rund
5% aller
Strafsachen) einem Richter – dem juge d’instruction –
übertragen. In solchen
Fällen verhört der juge d'instruction den Beschuldigten und
vernimmt die Zeugen
ein, prüft alle weiteren Beweisunterlagen, holt den Rat von
Sachverständigen
ein und kann Expertengutachten anfordern. Er übergibt den Fall dem
Staatsanwalt, wenn die Sache verfahrensreif ist. In der großen
Mehrheit aller
Fälle hat der Staatsanwalt den Fall für den Prozess
vorzubereiten – wiederum im
„inquisitorischen“ Verfahren (ex officio), mit
Unterstützung der Polizei
(police judiciaire). Die Rolle des Anwalts der Verteidigung
bleibt
zumeist auf Fragen der Kaution und des Gewahrsams beschränkt,
wobei der Anwalt
außerdem vor dem Richter und den Geschworenen für den
Angeklagten eintreten
darf. Der Zugang des Verteidigers zu den Ermittlungsakten hängt
davon ab, ob
ein juge d’instruction beteiligt ist – nur dann kann er auf die
Akten
zugreifen und die Einleitung von Schritten verlangen. Während
polizeilicher
Ermittlungen ohne Bestellung eines juge d’instruction haben
Strafverteidiger keinen Zugriff auf die Unterlagen und können
nicht einmal den
im Polizeigewahrsam befindlichen Beschuldigten kontaktieren. Erst nach
20 Stunden
Polizeigewahrsam hat der Beschuldigte Anspruch darauf, sich
10 Minuten
lang von einem Anwalt beraten zu lassen. 36. Während
des
Verfahrens – bei dem zu den Berufsrichtern auch Schöffen oder
Geschworene
hinzukommen können, deren Aufgabe sich nicht auf Entscheidungen in
Tatfragen
beschränkt – spielen die Richter eine aktive Rolle, wenn es um die
Klärung des
Tatverlaufs geht, doch auch die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft
können
Zeugen befragen. Die Verteidigung erhält stets als letzte
Gehör. [25] 37. Berufsrichter
(juges
oder magistrats du siège) und Staatsanwälte (procureurs
oder magistrats
debout/du parquet) gehören einer gemeinsamen Berufsgruppe (magistrats)
an, deren Mitglieder die gleiche Ausbildung erhalten haben (an der Ecole
Nationale de la Magistrature in Bordeaux) und im Zuge ihrer
Laufbahn von
der einen Untergruppe in die jeweils andere wechseln können (und
dies oft auch
tun). So hatten die meisten leitenden magistrats, denen ich bei
meinem
Besuch in Paris begegnete, als juges d’instruction begonnen, in
denen
traditionsgemäß eine gewisse Elite unter den magistrats
gesehen wird [26], und dann mehrfach zwischen den Funktionen
des Richters,
Staatsanwalts oder Ministerialbeamten gewechselt. 38. Rein
rechtlich
wie in der Praxis genießen Richter (auch die juges
d’instruction) ein
hohes Maß an Unabhängigkeit, während Staatsanwälte
in eine klare Hierarchie
eingebunden sind, an deren Spitze der Justizminister (Garde des
Sceaux) steht.
Die Strafprozessordnung [27] und das Statut de la
Magistrature [28] bieten andererseits auch bestimmte
Garantien für die Unabhängigkeit der Staatsanwälte.
Insbesondere werden die
Disziplinarbefugnisse des Ministers durch die zwingend vorgeschriebene
Einschaltung des Conseil Supérieur de la Magistrature,
des französischen
Justizrats, eingeschränkt, und der Minister kann nur allgemeine
Weisungen
erteilen oder, in Einzelfällen, die Fortführung einer
Ermittlung und die
Befassung des zuständigen Gerichts anordnen, aber nicht anweisen,
dies zu
unterlassen. Schließlich darf selbst der am niedrigsten gestellte
Staatsanwalt,
während schriftliche Erklärungen von Staatsanwälten den
Weisungen ihrer
jeweiligen Vorgesetzten entsprechen müssen, sich vor Gericht frei
äußern [29], wozu auch die Schlussanträge
gehören, in denen das Gericht
um eine bestimmte Sanktion (réquisitoire) gebeten wird,
damit der
Staatsanwalt die Möglichkeit erhält, die konkreten Ergebnisse
des Gerichtsverfahrens
angemessen zu berücksichtigen. 39. Die
Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit des Gerichtswesens scheinen
in der
französischen politischen Kultur nach der Verfassung von 1958
nicht unbedingt
absoute Geltung zu besitzen, da dieses Gesetzeswerk im Anschluss an das
so
empfundene Chaos der von einem in sich zerrissenen Parlament bestimmten
IV. Republik bewusst die Rolle des Präsidenten der Republik
stärkt. Mehrere
meiner französischen Gesprächspartner machten mich darauf
aufmerksam, dass die
Verfassung zwar von den Befugnissen (pouvoirs) des
Präsidenten, der
Regierung [30] und des Parlaments [31] spricht, bei der Bezugnahme auf die
Vorrechte der Judikative
den Begriff „Autorität“ (autorité) verwendet. [32] Hierzu heißt es, diese Abweichung
von der auf Montesquieu zurückgehenden Terminologie (der, wie mir
gesagt wurde,
im Ausland weitaus populärer ist als in Frankreich) sei nicht
unbedingt harmlos. 40.
Mein Besuch im Januar 2009 in Paris
erfolgte nur wenige Tage, nachdem Präsident Sarkozy eine
möglicherweise
weitreichende Reform des Strafjustizsystems angekündigt hatte: den
Vorschlag
der Abschaffung des juge d’instruction,
dessen Aufgaben der Staatsanwaltschaft übertragen werden sollten.
Dieser
Vorschlag wird als Gipfelpunkt eines Prozesses betrachtet, bei dem die
Verbände
der französischen Richter und Staatsanwälte den Eindruck
haben, dass die
Regierung allein deshalb die Kontrolle über das Justizsystem
übernimmt, weil
die „kleinen Richter“ daran gehindert werden sollen, gegen
führende Politiker
oder Geschäftsleute wegen behaupteter Korruption oder anderer
finanzieller
Vergehen eine Strafverfolgung einzuleiten (oder ihnen, wie einige
Politiker es
sehen, nachzustellen). [33]
Eine weitere von der derzeitigen Regierung angekündigte Reform,
die
„Entkriminalisierung“ bestimmter Geschäftspraktiken, welche in den
Bereichen
Gesellschaftsrecht und Finanzen zurzeit als strafrechtlich relevant
eingestuft
werden [34],
wird als Ergänzung dieser Strategie auf materiell-rechtlichem
Gebiet scharf kritisiert.
42.
Was die verfügbaren Mittel angeht,
ist der Kontrast zwischen dem Vereinigten
Königreich und Frankreich
in der Tat auffällig:
2006 war das Budget für Gerichtskostenhilfe allein in England und
Wales [39]
fast so hoch wie das Gesamtbudget für das Gerichtswesen von ganz
Frankreich (einschließlich
aller Gerichte, der Staatsanwaltschaften und der Gerichtskostenhilfe)! [40],
[41]
Beamte des Justizministeriums teilten mir mit, die den Gerichten zur
Verfügung
stehenden Mittel seien in den letzten Jahren erhöht worden und es
seien
1 500 zusätzliche Richter und Staatsanwälte eingestellt
worden, doch die
meisten meiner Gesprächspartner bestanden darauf, dass noch viel
getan werden
müsse. 43.
Die Vertreter der Richterschaft sind
überzeugt, dass der Fall Outreau, für den sogar ein
parlamentarischer
Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, lediglich eine bequeme Ausrede
für die
politische Klasse darstellt, um sich der Institution des allzu
unabhängigen juge d’instruction endlich zu
entledigen – was, wie sie erklären, die Vorgänger des
derzeitigen
Präsidenten schon lange gerne getan, aber nie gewagt hätten.
Interessanterweise
schreckte der parlamentarische Untersuchungsausschuss über den
Fall Outreau knapp
davor zurück, die Abschaffung des juge
d’instruction zu empfehlen und trat stattdessen für die
Fortsetzung eines
Reformprozesses ein, der schon früher begonnen hatte. In
Wirklichkeit hat der juge d’instruction nicht mehr die
Befugnis, einen Beschuldigten in Untersuchungshaft zu nehmen, denn dies
ist
jetzt die Aufgabe des juge des libertés
et de la détention [42], der durch eine
Reform im Jahre
2000 geschaffen wurde [43].
Sie erklären außerdem, die Frage der „Alleinstellung“ des juge d’instruction sei schon mit einer Reform angegangen
worden, die
Anfang 2010 in Kraft treten soll und wonach in besonders
arbeitsintensiven und
komplexen Fällen bis zu drei juges
d’instruction benannt werden können, die dann als Team
zusammenarbeiten
sollen. Die Vertreter der Richterschaft vertreten dazu die Ansicht, die
Auswirkungen dieser Maßnahme sollten zumindest während
einiger Zeit geprüft
werden, bevor die Institution des juge
d’instruction ganz abgeschafft wird. 44.
Die vorgeschlagene Übertragung der
Ermittlungsbefugnisse des juge
d’instruction an die Staatsanwaltschaft wird nicht nur von den
gewählten
Vertretern der Richter und Staatsanwälte [44],
sondern auch von niedergelassenen Anwälten kritisiert [45],
die befürchten, ihr Zugang zu den Akten werde weiter
eingeschränkt. Meine
Gesprächspartner im Justizministerium gaben an, ihnen sei bewusst,
dass Anwälte
in der Vorphase des Verfahrens nur dann Aktenzugang erhielten und bei
Verhören
dabei sein dürften, wenn das Verfahren von dem juge
d’instruction durchgeführt werde. Sie konnten jedoch nicht
meine Frage beantworten, ob der Zugang in allen Strafverfahren oder nur
in der
kleinen Zahl von Fällen erweitert werden würde, die zuvor der
juge d’instruction bearbeitet hatte und
in welchem Maße eine Erweiterung stattfinden werde. Meinen
Gesprächspartnern im
Justizministerium war auch klar, dass zusätzliche Mittel für
Gerichtskostenhilfe erforderlich sein würden, da die Reform zu
einem stärker
kontradiktorisch geprägten Verfahren führen würde und
die Anwälte der
Verteidigung selbst mehr Ermittlungen würden anstellen
müssen, die zurzeit von
Ermittlungsrichtern erledigt werden. Ihnen war jedoch nicht bewusst,
welche
gewaltigen Beträge in einem kontradiktorischen System wie in
England und Wales
für Prozesskostenhilfe erforderlich sind. [46]
47.
Der Conseil National des
Barreaux (Nationaler Rat der Anwaltskammern)
verurteilt in einer am 14. März 2009 auf seiner
Generalversammlung
einstimmig angenommenen Entschließung ebenfalls mit Nachdruck den
Zwischenbericht der Léger-Kommission, vor allem in Bezug auf die
Rechte der
Verteidigung. 48.
Am 21. März 2009
begannen die Etats Généraux de la Justice
Pénale [49]
unter
dem Vorsitz des ehemaligen Justizministers Robert Badinter in ganz
Frankreich
eine Reihe von Anhörungen, um so zu den laufenden Diskussionen
über die Reform
des Strafrechtssystems beizutragen. In dem auf der
Eröffnungsveranstaltung
beschlossenen Nationalen Appell werden die „Angriffe auf das Prinzip
der
Gewaltenteilung (verurteilt), bei denen die angekündigte
Übertragung aller
Ermittlungsaufgaben auf eine hierarchisch eingebundene und von der
Exekutive
abhängige Strafverfolgungsbehörde eine der jüngsten
Erscheinungsformen ist“. Der
Appell unterstreicht auch die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der
mit den
Ermittlungen betrauten Behörde. 49.
Diese heftigen Gegenreaktionen
seitens der relevanten und repräsentativen Berufsverbände
machen deutlich, dass
die Léger-Kommission noch einige Arbeit vor sich hat, da es
sicherlich unklug
wäre, die Reformvorschläge denen einfach aufzuzwingen, die
sie in ihrer
täglichen Arbeit anzuwenden haben. 50.
Ein weiterer Streitpunkt zwischen
der Regierung und den Gerichten ist die Reform des Conseil
Supérieur de la Magistrature (CSM), der die Aufgabe hat,
über Disziplinarmaßnahmen gegen Richter und
Staatsanwälte zu entscheiden und
Stellungnahmen zur Ernennung von Richtern abzugeben. Während der
Minister im
Falle von Richtern im Allgemeinen nicht von der Stellungnahme des CSM
abweichen
kann (Verfahren des avis conforme), hat
er diese Möglichkeit bei der Ernennung von Staatsanwälten
(Verfahren des avis simple). Uns wurde gesagt, unter
der derzeitigen Regierung habe die Praxis, die Stellungnahme des CSM zu
ignorieren (passer outre) so deutlich
zugenommen, dass schlichtweg die Rolle des CSM in Frage gestellt werde.
[50]
Mein Gesprächspartner beim CSM erläuterte, eine weitere
Reform, die 2010 in
Kraft treten solle [51],
werde das Machtgleichgewicht in diesem Gremium nachhaltig
verändern, da die
Vertreter der Richter und Staatsanwälte in der Minderheit sein
würden. Bisher
stehen sechs Richter und Staatsanwälte [52]
vier Laienvertretern gegenüber, die vom Staatspräsidenten,
den Präsidenten der
beiden Häuser des Parlaments und dem Staatsrat (Conseil
d’Etat) ernannt werden, wobei der Präsident – mit
dem
Justizminister als Stellvertreter – den Vorsitz führt. Nach dem
Inkrafttreten der Reform werden der Präsident, die beiden
Parlamentspräsidenten
und der Staatsrat jeweils zwei Vertreter ernennen, während der CSM
unter dem
Vorsitz des Ersten Präsidenten des Kassationshofs oder des
Generalstaatsanwalts
desselben Gerichtshofs vertreten sein wird, sodass anstelle des
früheren
Verhältnisses von sechs zu fünf (unter Einbeziehung der
Vorsitzenden) nun
sieben Richter oder Staatsanwälte und acht „politische“ Vertreter
einander
gegenüberstehen werden. Diese Reform, nach der auch einzelne
Bürger den CSM wegen
behaupteter Disziplinarverstöße von Richtern und
Staatsanwälten werden befassen
können, soll den Vorwurf des „Standesdenkens“ gegen Richter und
Staatsanwälte
abwenden, die dem Anschein nach unter einander über
Beförderungen und
Disziplinarmaßnahmen entscheiden. Die Verbände der Richter
und Staatsanwälte
wie auch der CSM sind gegen diese Reform [53]
und weisen darauf hin, dass die richterliche Unabhängigkeit
bedroht ist, wenn
Kandidaten der jeweiligen politischen Mehrheit über die Laufbahn
von Richtern
und Staatsanwälten und mögliche Disziplinarmaßnahmen
gegen sie entscheiden. Sie
zitieren außerdem „europäische Standards“, die zumindest
eine Parität zwischen
Richtern und Staatsanwälten auf der einen und „politischen“
Nominierten auf
ander anderen Seite erfordern. [54]
Schließlich weisen sie darauf hin, dass die ordentlichen Gerichte
(juridictions judiciaires) schlechter
behandelt werden als die Verwaltungsgerichte und die
Rechnungshöfe, in deren
übergeordneten Gremien die Richter in der Mehrheit sind. [55] 51.
Die Venedig-Kommission, die von
der Versammlung auf meinen Vorschlag um eine Stellungnahme gebeten
wurde,
vertritt folgende Auffassung: „Zusammenfassend ist
die Venedig-Kommission der Ansicht, dass es zumindest in neuen
Demokratien eine
unverzichtbare Garantie der Unabhängigkeit des Gerichtswesens
darstellt, wenn ein unabhängiger
Justizrat entscheidenden
Einfluss auf Beschlüsse nimmt, die über die Ernennung und die
Laufbahn von
Richtern entscheiden. Angesichts der reichen europäischen
Rechtskultur, die
wertvoll und schutzwürdig ist, gibt es kein auf alle Länder
anwendbares Modell.
Bei aller Achtung vor der Vielfalt der Rechtssysteme empfiehlt die
Venedig-Kommission jedoch auch, dass die alten Demokratien, die dies
noch nicht
getan haben, an die Errichtung eines unabhängigen Justizrats oder
eines
ähnlichen Gremiums denken sollten. In jedem Fall sollte der Rat
pluralistisch
zusammengesetzt sein und zu einem großen Teil, wenn nicht
mehrheitlich, von
ihren Amtskollegen gewählte Richter umfassen. [56] iii.
Das
deutsche Modell 53.
Die Vorermittlung im Vorfeld des
Prozesses werden nach dem deutschen System unter der Aufsicht der
Staatsanwaltschaft von der Polizei vorgenommen. Die
Polizeibehörden sind
verpflichtet, nach Schuld- wie Unschuldsbeweisen zu suchen, aber auch
die
Verteidigung spielt bei dem Verfahren eine aktive Rolle. Anders als
zurzeit in
Frankreich haben Verteidiger schon vor dem Verfahren
uneingeschränkten Zugang
zu dem Verdächtigten und den Unterlagen der Staatsanwaltschaft.
Die „Aufsicht“ über
die Polizei durch den Staatsanwalt soll sicherstellen, dass die der
Polizei
gezogenen gesetzlichen Grenzen eingehalten werden. Bestimmte
Ermittlungsmaßnahmen, die im Hinblick auf die Menschenrechte 55.
In der Verfahrensphase hat das
Gericht selbst – dem auch Laien angehören können – die
Pflicht, die Fakten zu
ermitteln. Das Gericht. dessen Richter uneingeschränt
unabhängig sind (einschließlich
lebenslanger Anstellung und Unabsetzbarkeit) und denen Fälle nach
zuvor
festgelegten objektiven Kriterien (Geschäftsverteilungsplan)
automatisch zugewiesen werden, kann Beweismaterialien ex
officio anfordern und tut dies auch oft. Allerdings können
sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung Anträge
stellen, auch
zur Vorführung von Zeugen. Das Gericht kann diese Anträge (Beweisanträge) nur aus einer begrenzten Zahl von
Gründen
zurückweisen. Die Verteidigung kann sich an dem Verfahren vor
Gericht aktiv
beteiligen, einschließlich der Teilnahme an der Auswahl der
Sachverständigen
und der Einvernahme der Zeugen. Das deutsche System könnte darum
so gesehen
werden, dass es von inquisitorischen Prämissen ausgeht [65]
und sich auf die Ermittlung der materiell-rechtlichen Sachverhalte
konzentriert, doch es wird stark durch kontradiktorische Elemente
abgeschwächt,
insbesondere eine ausgeprägte Rolle der Verteidigung schon zu
Beginn des
Verfahrens. Das spiegelt sich zum Teil auch in den für
Prozesskostenhilfe
verfügbaren Mitteln: Deutschland wendet deutlich mehr als
Frankreich auf, das
ein ein ausgesprochen inquisitorisches System besitzt, aber immer noch
viel
weniger als das Vereinigte
Königreich mit seinem rein
kontradiktorischen System. [66] 56.
Was die für diesen Bericht
besonders interessanten Fragen angeht, liegt das deutsche System deutlich hinter dem britischen und dem
französischen System zurück, da es keine unabhängige
Einrichtung vorsieht, die
die Ernennung, die Beförderung und Disziplinarmaßnahmen im
Hinblick auf
Mitarbeiter der Judikative regelt, wie dies zum Beispiel die
Richerernennungskommission
des Conseil Supérieur de la Magistrature tut. Die Richterräte und Präsidialräte, wie sie in den
Richtergesetzen des
Bundes und der Länder vorgesehen sind, spielen keine vergleichbare
Rolle. Der Deutsche Richterbund,
die repräsentativste Berufsvereinigung deutscher
Richter und Staatsanwälte, setzt sich für die Einführung
eines Systems der
beruflichen Selbstverwaltung ein – nach
dem
Modell der Gerichtsräte, wie es sie in den meisten übrigen
europäischen Staaten
gibt. [67]
Deutschland ist in dieser Hinsicht ein „Außenseiter“. Im
europäischen Netzwerk
der Vorsitzenden hoher Gerichtsräte hat Deutschland lediglich
Beobachterstatus
ohne Stimmrecht und wurde bezeichnenderweise bis vor kurzem von einem
Beamten
des Bundesjustizministeriums vertreten. [68]
Der Deutsche Richterbund ist der Ansicht, dass die unzureichende
justizielle
Selbstverwaltung in Deutschland durchaus einer der Gründe
dafür sein könnte,
dass das Gerichtswesen im Vergleich mit anderen europäischen
Staaten so unterfinanziert
ist – was neuere Vergleichsuntersuchungen auf europäischer Ebene
tendenziell
unterstreichen. Selbst eine so „prosaische“ Frage wie die der
Gehälter von
Richtern und Staatsanwälten wird betrachtet, als wirkten sich
„unangemessene
äußere Einflüsse“ auf die Unabhängigkeit des
Gerichtswesens aus. 57.
Ich möchte darauf hinweisen, dass die
potenziellen Auswirkungen von Themen wie der Unabhängigkeit der
Staatsanwaltschaft von ministeriellen Weisungen und das Fehlen einer
justiziellen Selbstverwaltung im Hinblick auf Einstellungs- und
Beförderungsentscheidungen durch die föderale Struktur des
deutschen
Gerichtswesens abgeschwächt werden. Die Gerichte erster und
zweiter Instanz
sowie die mit ihnen verbundenen Staatsanwaltschaften unterstehen den
einzelnen
Ländern, während die Bundesregierung für die
Bundesgerichte (einschließlich des
Bundesgerichtshofs – des Obersten Gerichtshofs für Zivil-
und Strafsachen – und des
Bundesverfassungsgerichts) zuständig ist. Die Gefahr, dass eine
politische
Strömung die Gerichte unter ihre Kontrolle bringt und dies dazu
missbraucht,
ihre Machtposition zu festigen und der Opposition das Wasser
abzugraben, ist
nicht so groß wie in Zentralstaaten mit ähnlichen
Rechtsvorschriften. Die
politische Verantwortung für die Judikative und der potenzielle
Einfluss auf
diese verteilt sich auf die Justizminister oder -senatoren der
16 Länder
und den Bundesjustizminister. Die Länder haben unterschiedliche
Traditionen und
Rechtsvorschriften für die Ernennung und Beförderung von
Richtern und Staatsanwälten
und weisen abweichende und sich häufig ändernde politische
Mehrheiten auf. Einige
haben bereits fortschrittliche Mechanismen im Sinne einer justiziellen
Selbstverwaltung eingeführt und die Befugnisse der
Ministerialverwaltung in
Personalfragen eingeschränkt. Andere haben dies schon beschlossen,
während
andere noch in einer frühen Überlegungsphase stehen. Die
derzeitige Bundesjustizministerin,
Frau Zypries, erklärte im Mai 2009 auf eine Tagung
öffentlich, [69]
sie sei von der Wünschbarkeit einer justiziellen Selbstverwaltung
entsprechend
„europäischen Standards“ noch nicht überzeugt. Sie vertritt
die Ansicht,
Deutschland solle gerichtliche Standards im gerichtlichen Bereich eher
exportieren als importieren, da sein Gerichtssystem im Hinblick auf
Qualität,
Effizienz und Integrität einen hervorragenden Ruf genieße.
Davon abgsehen
erklärte sie sich bereit, auf die Argumente der
Reformbefürworter einzugehen. 58.
Meine eigenen Auffassungen liegen
nach Treffen mit leitenden Vertretern der Judikative, der
Bundesrechtsanwaltskammer
und dem Bundesjustizministerium [70]
im Grunde recht dicht bei denen des Deutschen Richterbunds. 59.
Was die justizielle
Selbstverwaltung anbelangt, nehme ich die Argumente ernst, wonach eine
solche
Reform eine „Closed shop“-Mentalität und eine korporatistische
Haltung
begünstigen könnte, die das Gerichtswesen von der breiten
Gesellschaft
abschneiden und zu einem Verlust bei der demokratischen
Rechenschaftslegung
führen könnte. Diesen Gefahren lässt sich jedoch mit dem
Modell eines „Gerichtsrates“
entgegenwirken, das die Vertretung aller Schichten der Gesellschaft
sicherstellt, wie es im Vereinigten
Königreich mit Erfolg
verwirklicht worden zu sein
scheint. Anders als Ministerin Zypries nehme
ich auch das Argument ernst, dass die justizielle Selbstverwaltung
europäischen
Standards genügt. In bin zwar insofern ihrer Meinung, als die
Unabhängigkeit
der Gerichte in Deutschland recht gut gewahrt wird, doch müssen
die gesetzlichen
Strukturen so aussehen, dass sie Missbräuchen auch dann vorbeugen
können, wenn
die entsprechenden Instrumente einmal mehr in die „falschen“ Hände
fallen. Die
so genannten „alten Demokratien“ sollten davon absehen, „neuen
Demokratien“
Ratschläge zu erteilen, die sie selbst nicht umzusetzen bereit
sind. Zweierlei
Maßstäbe dieser Art sind nicht hinnehmbar [71]
und untergraben die Bemühungen des Europarats,
die Unabhängigkeit des Gerichtswesens überall zu
stärken. Ich fühle mich
deshalb von der Haltung des Vereinigten
Königreichs angezogen, das vor kurzem die Judicial
Appointments Commission [72]
eingesetzt hat; nicht so sehr, weil die Unabhängigkeit der
britischen Gerichte
in Frage gestanden hätte, sondern um zu vermeiden, einen
schlechten
Präzedenzfall vorzugeben, auf den auch andere zurückgreifen
könnten. 60.
Was das Recht angeht, Staatsanwälten
Einzelanweisungen zu erteilen, unterstütze ich
uneingeschränkt den Vorschlag,
diese Möglichkeit abzuschaffen. Nach meiner eigenen Erfahrung als
Ministerin
kann ich nur bestätigen, dass dieses Instrument ein
zweischneidiges Schwert
ist, das ebensoviel Schaden anrichten wie Gutes bewirken kann, sowohl
bei
denen, die sich seiner bedienen als auch denen, die auf der anderen
Seite
stehen. Das gilt insbesondere angesichts der weit verbreiteten und in
jüngster
Zeit zum Teil „legalisierten“ Praxis von „Abmachungen“ zwischen der
Staatsanwaltschaft, dem Gericht und der Verteidigung. [73]
Wenn die Staatsanwaltschaft nämlich „politischen“ Weisungen zu
folgen hat, kann
das gesamte Verfahren leicht zu einer Farce werden. 61.
Im Hinblick auf die Frage der
Gehälter stimme ich den Vertretern der Richter und
Staatsanwälte zu, dass eine
angemessene Bezahlung einen notwendigen Bestandteil des Schutzes vor
unzulässigen äußeren Einflüssen darstellt. Sinken
die Vergütungen zu tief ab,
droht die Gefahr der Korruption – einer Krankheit, die zu heilen
weitaus schwieriger ist als sie zu verhüten. Außerdem
könnten angehende Richter
und Staatsanwälte sich ohne anständige Bezahlung auf allen
Ebenen des
Gerichtswesens unter dem wirtschaftlichen Zwang fühlen, sich durch
Gefälligkeiten gegenüber den Machthabern für
Beförderungen ins Gespräch zu
bringen. 62.
Eine abschließende Empfehlung, die
sich aus meinen Gesprächen in Berlin ergibt, geht in die Richtung,
dass die
Aufsichtsfunktion von Richtern im Hinblick auf
Ermittlungsmaßnahmen, die in Grundrechte
eingreifen (so z.B. Untersuchungshaft, die Genehmigung von
Durchsuchungen und
Beschlagnahmen, Abhörmaßnahmen usw.) verstärkt werden
muss, indem den Gerichten
zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, um zu
vermeiden, dass Richter
Anträge der Staatsanwaltschaft aus Zeitmangel einfach
„durchwinken“. Das gilt
vor allem im Rahmen der Terrorismusbekämpfung, die zu
größeren Befugnissen und
Ressourcen der (de lege lata weniger unabhänigen)
Staatsanwälte geführt
hat, ohne dass die Überwachungsmöglichkeiten der Richter in
vergleichbarem Maße
ausgeweitet worden wären. iv.
Zurechnung von
Staaten zu den ersten drei Modellen 63.
Nach einer förmlichen Analyse der
verschiedenen Strafrechtssysteme in den Mitgliedstaaten könnte es
naheliegend
erscheinen, dass alle in eine der drei oben erwähnten drei
Kategorien fallen,
auch wenn jedes natürlich besondere Unterscheidungsmerkmale
aufweist.
Österreich, Dänemark, Finnland, Italien, Island,
Liechtenstein, Norwegen,
Portugal und Schweden könnten am ehesten dem deutschen Modell
zugerechnet
werden, während Andorra, Belgien, Griechenland, Luxemburg, die
Niederlande,
Monaco, San Marino, Spanien, die Schweiz und die Türkei eher dem
französischen
Modell zu entsprechen scheinen. Darüber hinaus und
vorbehaltlich aller obigen Anmerkungen
lassen sich Malta, Nordirland, Schottland und Zypern dem englischen
Modell
zuschlagen. [74]
Unter den
Staaten Mittel- und Osteuropas folgen die Strafrechtssysteme Albaniens,
von
Bosnien und Herzegowina, Bulgariens, Estlands, Lettlands, Litauens,
Montenegros,
Polens, Rumäniens, Serbiens, Sloweniens, der Slowakei, der
Tschechischen
Republik und Ungarns eher dem deutschen Modell, während Kroatien –
mit der
Einschaltung eines Ermittlungsrichters – wohl auf dem
französischen Weg zu
sehen ist. [75] v.
Immer noch ein
System sui generis:
die Russische Föderation
a. Geschichtliche
Wurzeln 64.
Die Russische Föderation scheint
eine eigenständige vierte Kategorie eines Strafrechtssystems zu
verkörpern, das
auf unterschiedliche Weise von der Tradition beeinflusst worden ist,
die sich
während des Bestehens der Sowjetunion herausbildete. Diese Analyse
scheint im
Falle von Ländern wie Armenien, Aserbaidschan, Georgien, der
Republik Moldau, der Russischen Föderation und der Ukraine
angemessen zu sein,
nicht jedoch unbedingt bei den Mitgliedstaaten, die einstmals
kommunistisch
waren, aber nach dem Zweiten Weltkrieg nicht oder nur zum Teil als
Bestandteile
der überkommenen und erlittenen Tradition der Sowjetunion
angehörten oder
wieder ins Leben gerufen wurden oder auch vor der kommunistischen
Epoche oder erst
seitdem Veränderungen erfahren haben, die immer noch Teil der
Praxis sind. 65.
Zu Sowjetzeiten war die „prokuratura“
(Staatsanwaltshaft) die vorherrschende Kraft im Strafrechtssystem,
während die
Gerichte eine untergeordnete und fast nur bestätigende Rolle
spielten und die
Anwälte der Verteidigung praktisch irrelevant waren. [76]
Auch wenn in den ehemaligen Sowjetrepubliken beträchtliche
Anstrengungen
unternommen worden sind, um zum einen das Ansehen der Gerichte im
Strafverfahren zu erhöhen und zum anderen sicherzustellen, dass
Verteidiger
sowohl bei den Vorermittlungen als auch in der Prozessphase teilnehmen
können,
übt der Staatsanwalt weiterhin einen sehr starken Einfluss auf den
Prozess aus.
Dies liegt nicht nur daran, dass (trotz der formellen Änderung der
Zuständigkeiten) viele der Mitarbeiter weiter in denselben Organen
des
Strafrechtssystems tätig sind, aber auch die Staatsanwaltschaft in
der
Rechtsordnung generell einen gewaltigen Einfluss behalten hat [77],
mit einer umfassenden Überwachungsfunktion in Bezug auf
viele Tätigkeiten selbst
außerhalb des Justizwesens – ein von dem Europarat
wiederholt kritisierter Zustand. 66.
Während meines Besuchs in Moskau wollte
ich Strukturfragen erörtern, wie z.B. die kürzliche
Einsetzung des von der
Generalstaatsanwaltschaft „abgespaltenen“ Ermittlungsausschusses sowie
konkrete
Beispiele der behaupteten unzureichenden Zusammenarbeit
der Strafverfolgungsbehörden mit leitenden Vertretern dieser
Stellen. Obwohl in
der letzten Fassung meines offiziellen Besuchsprogramms, die mir in
Moskau
übergeben wurde, Begegnungen mit dem stellvertretenden
Generalstaatsanwalt und
dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ermittlungsausschusses angesetzt
waren,
wurden diese anschließend kurzfristig gestrichen. Nach meiner
Rückkehr aus
Moskau richtete ich ein Schreiben an den Generalstaatsanwalt und den
Vorsitzenden des Ermittlungsausschusses mit dem Angebot, zu einem
anderen
Zeitpunkt mit ihnen zusammenzutreffen und einer Liste von Frage, die
sie
ersatzweise auch schriftlich beantworten konnten. In der schriftlichen
Erwiderung der Generalstaatsanwaltschaft (PGO) [78]
wird die von der Verfassung und den Gesetzen der Russischen
Föderation
vorgesehene völlige Unabhängigkeit der PGO von jeglichen
politischen,
administrativen oder sonstigen Einmischungen unterstrichen. Alle
Versuche, sich
in die Arbeit der Staatsanwälte einzumischen, würden Anlass
zu strafrechtlicher
Haftung geben. Was die Beziehungen des PGO zu dem neu eingesetzten
Ermittlungsausschuss angehe, könne von Konkurrenz keine Rede sein,
da die jeweiligen
Zuständigkeiten genau umrissen seien und bei
Meinungsverschiedenheiten der
Geneeralstaatsanalt das letzte Wort habe. Das war sehr aufschlussreich
und
führte zu einigen zusätzlichen Fragen, die ich in einem
weiteren Brief stellte,
der bisher noch nicht beantwortet wurde. 67.
Pawel Kraschenninikow, der
Vorsitzende des Ausschusses der Staatsduma fü Zivil-, Straf-,
Schieds- und
Verfahrensrecht, mit dem ich in Moskau zu einer sehr konstruktiven
Diskussion
zusammentraf, behält sich sein Urteil über die praktischen
Auswirkungen der
Einsetzung des Ermittlungsausschusses noch vor. Ein
wenig Wettbewerb zwischen den beiden Stellen
könne gesund sein, doch
sei eine gute Zusammenarbeit
zwischen
ihnen für eine effiziente Vollstreckung der Gesetze von
entscheidender
Bedeutung. Er hielt es auch für zu früh, meine Frage zu
beantworten, ob eine
mögliche Schwächung der Stellung der
Generalstaatsanwaltschaft den Schutz der
Bürgerrechte im Strafrechtssystem verbessern könne. Herr
Kraschenninikow war
sich der größten Schwächen des russischen
Strafjustizsystems bewusst, auch der
Korruption in der Justiz, der Überfüllung der
Gefängnisse und der allzu
häufigen Inanspruchnahme der Untersuchungshaft anstelle
alternativer
Sicherungsmaßnahmen. [79]
68.
Herr Kraschenninikow unterstrich
außerdem
seine anhaltende Unterstützung wie auch die seines gesamten
Ausschusses für
einen von ihm mit aller Energie eingebrachten Gesetzentwurf, mit dem
erreicht
werden soll, dass die in Untersuchungshaft verbrachte Zeit angesichts
der
schwierigen Situation in U-Haftanstalten und auch als Antwort auf
die Kritik
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
b. Druck auf Richter
– Verurteilungsdruck 69.
In vielen Fällen scheint ein sehr
starker Verurteilungsdruck zu herrschen, und anstelle eines Freispruchs
entscheiden sich die Gerichte eher für eine Zurückverweisung
zwecks weiterer
Ermittlungen. In meinen Gesprächen Anfang April in Moskau sprach
ich die Frage
eines Verurteilungsdrucks an und bin zu der Ansicht gelangt, dass es
einen solchen
Druck gibt, auch als Faktor zur Beurteilung der „Effizienz und
Effektivität“
von Richtern unter dem Blickwinkel ihrer Beförderung oder auch der
Entfernung
aus ihrem Amt. Ich traf mit einem früheren Richter, Herrn Melichow
(Strafrichter am Bezirksgericht von Dogobomila bei Moskau), zusammen,
der mir
schlüssig und detailliert erklärte, wie er unter starken
Druck gesetzt wurde,
keine Anträge auf Untersuchungshaft abzulehnen [82]
und „gelegentlich“ Freisprüche zu verkünden. [83]
Nach vielfältiger Drangsalierung wurde er schließlich
entlassen – aufgrund von
Beschwerden des Präsidenten des Moskauer Stadtgerichts (nicht
seines eigenen
Gerichtspräsidenten). [84] 70.
S.A. Paschin, ein ehemaliger
Richter am Obersten Gerichtshof und angesehener Rechtsexperte, der in
der
Präsidialverwaltung unter Präsident Boris Jelzin für die
Justizreform zuständig
war und mir bei meinem Besuch in Moskau scharfsinnige Analysen vortrug,
wurde
ebenfalls mehrfach als Richter entlassen und wiedereingesetzt. Herr
Paschin glaubt,
seine wiederholte Wiedereinsetzung sei dem Umstand geschuldet, dass der
damalige russische staatliche Vertreter beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte 71.
In diesem Zusammenhang möchte ich
erwähnen, dass ich erneut mit Richterin Kudeschkina zusammentraf, [85]
die nach ihrem vorläufigen Erfolg vor dem Straßburger
Gerichtshof bester Dinge
war. Sie erklärte, das Urteil des Gerichtshofs zu ihren Gunsten
habe anderen
stark angefochtenen Richtern große Hoffnung gegeben. Frau
Kudeschkina begrüßte
es auch, dass das Urteil an die Große Kammer verwiesen wurde, da
dies dem
Gerichtshof die Möglichkeit bieten würde, die Probleme der
unzureichenden
Unabhängigkeit russischer Richter und ihre immer striktere
Überwachung durch
die Gerichtspräsidenten noch eingehender anzugehen. 72.
Eine weitere ehemalige Richterin,
mit der ich in Moskau zusammentraf, ist Frau Gratschowa. Sie war
19 Jahre
lang als Richterin tätig gewesen und hatte stets ausgezeichnete
berufliche
Bewertungen erhalten, weshalb sie zur stellvertretenden Vorsitzenden
ihres
Gerichts (in der Stadt Koroljow in der Region Moskau) befördert
werden sollte.
Sie hatte eine lokale Wahl für ungültig erklärt, weil es
mehrere
Gesetzesverstößé gegeben hatte. Während der
Verhandlung drohte ihr ein Anwalt,
sie werde „große Probleme“ bekommen. Ein kurz danach neu
ernannter Präsident
ihres Gerichts begann dann, sie zu „belästigen“ und entzog die
Unterstützung
seines Vorgängers für Frau Gratschowas Beförderung. Er
fing außerdem an, sie
zusätzlich zu ihrem bestehenden Pensum an Zivilfällen mit
Strafsachen (mit
denen sie keine Erfahrung hatte) zu überlasten. Es kam zu
Gesundheitsproblemen
sowie einer konstruierten Klage des Anwalts, der sie bedroht hatte,
wegen einer
kleinen Vergütung, [86]
die sie erhalten hatte, weil sie in ihrer Freizeit bei der
Durchführung einer
Wahl geholfen hatte. Sie hatte den Eindruck, dass das ihren Fall
betreffende
Verfahren im Berufungsgremium grobschlächtig manipuliert worden
war und dass
ihr Gerichtspräsident in einer öffentlichen Verhandlung
erklärt hatte, man
„sollte sie erschießen“. [87]
Nachdem sie es abgelehnt hatte, ihre Stelle selbst zu kündigen
(und so ihre
Rentenansprüche zu wahren), wurde sie schließlich entlassen
(unter Verlust
ihrer Rentenansprüche). Nachdem sie mit allen internen
Einsprüchen gegen die
Entlassung unterlegen war, stellt der Europäische Gerichtshof ihre
letzte
Hoffnung dar. Inzwischen hatte der 2008 ernannte neue Präsident
des
Bezirksgerichts die Methoden des Präsidenten ihres früheren
Gerichts scharf
kritisiert.
74.
Vor meiner Abreise nach Moskau
wurden mir zwei weitere Fälle von Richtern mitgeteilt, die
angeblich
„Weisungen“ – in beiden Fällen zu der Rechtssache
ToAZ (Togliatti-Asot) – erhalten
hatten. Wie die Moscow Times meldete[92],
machte Jelena Waljawina, die Erste stellvertretende Vorsitzende des
Oberen
Schiedsgerichts, vor dem Moskauer Bezirksgericht Dorogomilowski
bestürzende
Aussagen in einem Verleumdungsverfahren gegen den bekannten
Rundfunk-Nachrichtenmoderator
Wladimir Solowjow. In seiner Rundfunksendung hatte Solowjow dem
leitenden
Kreml-Bediensteten Waleri Bojew direkt vorgeworfen, dem Oberen
Schiedsgericht
Weisungen erteilt zu haben. [93]
Herr Bojew verklagte ihn wegen Verleumdung, und Richterin Waljawina
bestätigte
in der Verleumdungssache als Zeugin, Herr Bojew habe ihr in der Tat
gesagt, sie
werde nach ihrer Probezeit nicht an ihren Arbeitsplatz
zurückkehren können,
wenn sie es ablehnen sollte, ihre Haltung in von ihr zu verhandelnden
Fällen zu
ändern. [94] 75.
Der zweite mit ToAZ in Verbindung
stehende Fall ist der der Richterin Nadeschda Kostjutschenko,
früher am
Schiedsgericht des Gebiets Samara, die sich an den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte 76.
Ich hatte bei meinem Aufenthalt in
Moskau keine Gelegenheit, mit Herrn Solowjow, Frau Waljawina oder Frau
Kostjutschenko
zu sprechen, ebensowenig mit den beiden Duma-Abgeordneten, die sie,
Aussagen
zufolge, öffentlich unterstützten. Einige unabhängige
Experten, die ich fragte,
ob dieser Fall eine „Frühlingsschwalbe“ sein könne, waren
angesichts Herrn
Solowjos normalerweise ausgeprägter regierungsfreundlicher Haltung
skeptisch. Ich
betrachte allein schon den Umstand, dass ein höherer Richter es
wagte,
öffentlich zu bestätigen, dass ein Beamter aus dem Kreml
versucht habe, ihr
Weisungen vorzugeben, als ermutigendes Anzeichen für das
zunehmende
Selbstbewusstsein russischer Richter. Dass der Moderator eines
verbreiteten Nachrichtensenders
diesen Fall aufgriff, macht deutlich, dass für solche Richter ein
gewisses Maß
an öffentlicher, wenn auch nicht „offizieller“ Unterstützung
vorhanden ist. Es
wird die Aufgabe des Europarats
sein,
mit solchen Kräften zusammenzuarbeiten, um diesen Trend, diese
„kleine
Schwalbe“, wie einer meiner skeptischen Gesprächspartner
widerwillig einräumte,
weiter zu stärken.
c. Die
Ansichten der Führung des Obersten
Gerichtshofs der Russischen Föderation 77.
Während meines Gesprächs im
Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation beschrieb
Präsident Lebedew
beredt die Fortschritte des russischen Justizwesen während der
letzten Jahre. Beträchtliche
Gehaltserhöhungen, nach denen russische Richter fast dreimal
soviel verdienen
wie ihre französischen oder deutschen Berufskollegen (im Vergleich
mit den
mittleren Arbeitnehmereinkommen in den drei Staaten),
[100]
haben die Abhängigkeit der Richter von „Gefälligkeiten“ der
örtlichen Behörden,
z.B. bei der Bereitstellung von Wohnraum, deutlich verringert. Ich
betrachte
angemessene Gehälter als notwendigen (wenn auch nicht
ausreichenden) Beitrag
zur Bekämpfung der Korruption, auch im Gerichtswesen. 78.
Herr Sedarenko, der Präsident des
Richterrates der Russischen Föderation, und Herr Kusnezow, vom
Obersten
Qualifizierungskollegium für Richter, unterstrichen die
Fortschritte bei der
Arbeitsweise der von ihnen geleiteten Gremien, die die Aufgabe haben,
die
Unabhängigkeit der Judikative „nicht nur in Worten, sondern auch
in der
Realität“ sicherzustellen. Der Präsident des Obersten
Gerichtshofs, Herr
Lebedew, betonte die „Sensibilität“ seines Gerichtshofs in der
Frage der
Unabhängigkeit und die wichtige Rolle des von ihm geleiteten
Organs bei der
Beratung der Regierung und der Staatsduma im Hinblick auf die weitere
Verbesserung der verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen
Vorschriften
für die Beschleunigung und weitere „Professionalisierung“ der
Arbeit der
Gerichte ohne Verletzung von Rechten. Präsident Lebedew
begrüßte ebenfalls den
seit 1998 erfolgten Übergang zur Selbstverwaltung des
Gerichtswesens, bei dem
die Zuständigkeit für die
Gerichtsverwaltung aus dem Justizministerium in die „Zentraldirektion
für die
Justizverwaltung“ beim Obersten Gerichtshof selbst verlagert wurde. Der
Generaldirektor dieser Abteilung, der Ministerrang hat, wird nach
Anhörung des
Vorsitzenden des Richterrats von dem Präsidenten des Obersten
Gerichts ernannt.
Dem Obersten Qualifizierungsgremium (29 Mitglieder) gehören
9 Richter
von Zivil- und Strafgerichten, 9 Richter von Schiedsgerichten, 10
von dem
Föderationsrat ernannte Mitglieder und ein von dem
Präsidenten der Russischen
Föderation ernanntes Mitglied an. Herr Kusnezow erwähnte,
dass es dem
Qualifizierungsgremium gelungen sei, eine versuchte Änderung
seiner
Zusammensetzung durch Verweis auf europäische Standards
abzuwehren, die
vorsehen, dass mindestens die Hälfte seiner Mitglieder Richter
sein müssen. Bewerbungsmöglichkeiten
für vakante Richterpositionen (auch im Wege der Beförderung
zu besetzende
Stellen an Obergerichten) werden in den Medien bekanntgegeben.
Entscheidungen
und Empfehlungen des Kollegiums müssen begründet werden, ein
vor kurzem auch
von dem Verfassungsgerichtshof der Russischen Föderation betontes
Erfordernis.
Präsident Lebedew wies ferner darauf hin, dass er in dem
Qualifizierungskollegium nicht mitstimmen darf. Er hatte einen
Vorschlag einer
Gruppe von Richtern abgelehnt, diese Regelung zu ändern, da er
meinte, das
Kollegium könne ohne ihn gelassener und flexibler arbeiten. 79.
Die oben umrissene institutionelle
Struktur nimmt sich recht fortshrittlich aus, auch im direkten
Vergleich mit
anderen von mir besuchten Ländern wie dem Vereinigten
Königreich, Frankreich und insbesondere Deutschland. [101] Die Erwiderungen meiner
Gesprächspartner auf meine Fragen,
mit denen ich die tatsächliche Funktionsweise dieser Einrichtungen
bewerten
wollte, haben allerdings einen etwas anderen Eindruck entstehen lassen.
80.
Auf Fragen nach den Methoden zur
Sicherstellung der Stimmigkeit und Einheitlichkeit der Urteile
verschiedener
Gerichte in der Russischen Föderation erläuterte
Präsident Lebedew beredt die „seit
Jahrzehnten“ befolgte Tradition, wonach der jeweilige
Gerichtsvorsitzende, auch
er selbst am Obersten Gerichtshof, Sitzungen und Konferenzen mit ihren
Richtern, Mitarbeitern und Beratern abhielten, bei denen aktuelle
Fälle
erörtert würden. Sogar Videokonferenzen würden genutzt,
um Gerichte in anderen
Republiken und Regionen zu erreichen. Sie dienten außerdem zur
Verbreitung der
Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 82.
Auf meine Frage sagte Herr
Kusnezow, Richter würden „äußerst selten“ entlassen –
er nannte eine Zahl von
56 „vorzeitigen Aussetzungen richterlicher Befugnisse“ (Entlassungen).
Ich
finde diese Zahl recht hoch, bedenkt man die ausgeprägte
Beschäftigungssicherheit (Lebensstellung), die Richter
normalerweise genießen. Angesichts
der obigen Aussagen ehemaliger Richter könnte die Zahl der
Richter, die nach
einem solchen Vorschlag (um ihre Rentenansprüche zu retten)
„freiwillig“ aus
dem Dienst ausscheiden, durchaus noch höher sein. 83.
Im Lichte der Treffen mit
hochgestellten Vertretern des Obersten Gerichtshofs einerseits und
führenden
unabhängigen Experten, ehemaligen Richtern und Anwälten
andererseits habe ich
den Eindruck, dass russische Richter – immer
noch und vielleicht immer
mehr – unter
dem schweren Druck stehen, ,entsprechend
den Erwartungen der Mächtigen zu „funktionieren“. Mehrere
unabhängige
Beobachter teilten mir mit, die Praxis der „Telefonjustiz“ – ein
Begriff,
den Innenminister Raschid Nurgaljew anscheinend Ende 2008 verwendet
hatte,
[102]
um Fälle zu beschreiben, in denen Richter Anrufe erhalten, mit
denen ihnen
gesagt wird, wie sie in einzelnen Fällen zu entscheiden haben – habe
sich in
der Tat ausgebreitet, nicht jedoch im Sinne größerer
Unabhängigkeit: Richter,
die unbedingt vorauseilend den Wünschen ihrer „Vorgesetzten“ zu
entsprechen
bemüht sind, neigen zunehmend dazu, selbst zum Hörer zu
greifen, um nach
Weisungen zu fragen statt die Folgen einer Fehleinschätzung tragen
zu müssen. Mein
eigener Eindruck, auch angesichts der beträchtlichen Zahl von mit
Einverständnis des Qualifizierungskollegiums aus ihrem Amt
entfernter Richter
und des großen Gewichts, das dem Inhalt der Urteile bei der
Leistungsbewertung
der Richter beigemessen wird, ist der, dass russische Richter weiterhin
in
einem Klima einer lebenslangen „Probezeit“ arbeiten und dass das
Qualifizierungskollegium
erst noch seine angemessene Rolle beim Schutz der Unabhängigkeit
aller Richter
finden muss, auch in Bezug auf diejenigen, die es wagen, Urteile zu
fällen, die
den Mächtigen des Landes missfallen könnten. Richter, die in
einer solchen Atmosphäre
immer noch völlig unabhängig ihrem Beruf nachgehen, laufen
nach wie vor ein
hohes Risiko, ihre Stelle zu verlieren und verdienen alle
Unterstützung, die
sie aus der russischen Gesellschaft wie auch seitens des Europarats bekommen können.
d. Geschworenenprozesse
– ist eine
entscheidende Reform bedroht? 84.
Die Einführung von
Geschworenenprozessen in einigen Fällen mag zu einem kritischeren
Herangehen
an die Beweiswürdigung geführt haben – mit
einer entsprechenden Zunahme
der Freisprüche –, doch die meisten Rechtssachen werden immer
noch von
Berufsrichtern und Schöffen bearbeitet. Durch neuere
Gesetzentwürfe soll die
Möglichkeit der Angeklagten weiter eingeschränkt werden,
einen Geschworenenprozess
zu verlangen – indem dies in Fällen, bei denen es um
Terrorismus,
Landesverrat, Gefährdung der Staatssicherheit und von
Staatsgeheimnissen sowie
„Extremismus“ geht, ausgeschlossen wird. In diesem Entwurf sehen
Reformanhänger
einen Schritt in die falsche Richtung, insbesondere in Verbindung mit
gleichzeitigen Gesetzentwürfen für die weitere Ausdehnung des
Geltungsbereichs
entsprechender Bestimmungen des Strafgesetzbuchs.
e. Verteidiger
– ein Risikoberuf? 85.
Obwohl Verteidiger rein formell im
Strafrechtssystem eine
wichtigere Rolle erhalten haben, bestehen in der Praxis noch Probleme
damit
sicherzustellen, dass sie von der Qualität und dem „Standing“ her
überzeugen. [103] 86.
87.
Bei meinem Besuch in London und
dann auch in Berlin wurde ich vor meiner Abreise nach Moskau sehr
detailliert
von den im Vereinigten
Königreich praktizierenden
Anwälten des Hermitage Fund/HSBC über die
fast unglaubliche (aber gut belegte) Geschichte des anscheinend unter
Beteiligung hoher Beamter erfolgten Anschlags auf den bis 2006
größten
ausländischen Investor auf dem russischen Aktienmarkt informiert.
Insbesondere
wurden alle Juristen, die in der Russischen Föderation für
HSBC/Hermitage tätig
waren, eingeschüchtert und und von der Polizei mit
Durchsuchungen und der Einvernahme als Zeugen behelligt – unter
Verletzung des Anwalt-Mandanten-Privilegs. Am 20. August 2008 stürmte die Polizei die
Moskauer Büroräume aller Anwaltskanzleien, die HSBC und
Hermitage vertraten, insbesondere
die der in Moskau vertretenen US-Kanzlei Firestone Duncan sowie die der
selbständigen Anwälte Eduard Chairetdinow, Wladimir Pastuchow
und Wadim Gorfel. [110]
Bei den Durchsuchungen wurden von der Polizei Vollmachten
beschlagnahmt, die es
den Anwälten erlaubten. HSBC bei für dieselbe Woche
angesetzten
Gerichtsverhandlungen zu vertreten –
anscheinend ein Versuch, die
Bemühungen von HSBC zu vereiteln, noch laufende
Betrugsmanöver zu unterbinden. [111] 88.
Ende August 2008 wurden alle Anwälte,
die HSBC/Hermitage unabhängig vertraten – Herr Chairetdinow,
Herr Pastuchow
und Herr Gorfel, denen es gelungen war, betrügerische
Forderungen gegen die
HSBC-Firmen aufzudecken und die dabei waren, ein
unrechtmäßiges
Insolvenzverfahren anzufechten, von der Polizei in Kasan zu einer
Zeugenvernehmung vorgeladen – unter Verstoß gegen Artikel 8
des russischen
Anwaltsgesetzes, nach dem Rechtsbeistände nicht zu Fällen
befragt werden
dürfen, in denen sie juristische Hilfestellung leisten. 89.
Am 24. November 2008 wurde
der selbständige Anwalt Sergei Magnizkei, der HSBC/Hermitage bei
der Aufdeckung
von Betrugsfällen und Amtsmissbrauch geholfen hatte, festgenommen
und kam in
Untersuchungshaft. An demselben Tag durchsuchte die Polizei seine
Anwaltskanzlei, und entgegen dem russischen Verfahrensrecht durfte der
Rechtsbeistand der Firma, wie es heißt, während der
Durchsuchung nicht dabei
sein. Herrn Magnizkeis Anwälten zuolge wurde er in den vier
Monaten, nachdem
das Gericht am 26. November 2008 seine Inhaftierung genehmigt
hatte, noch
nicht ein einziges Mal verhört. Die Untersuchungshaft – unter
unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen –
[112] wurde am 13. März 2009 wegen der
Notwendigkeit, die
gleichen Vorermittlungen durchzuführen, die als Grund für
seine erste
Inhaftierung angeführt worden waren, um drei Monate
verlängert. [113]
Gegen einen weiteren für Hermitage/HSBC tätigen Anwalt, Herrn
Eduard
Chairetdinow, wurde Ende November 2008 ein Strafverfahren eingeleitet,
weil er
angeblich eine ungültige Vertretungsvollmacht verwendet hatte,
wobei frühere
Urteile und Aussagen von HSBC-Vorständen, in denen seine Vollmacht
anerkannt
wurde, keine Berücksichtigung fanden. Am 2. April 2009 wurde
aus den
gleichen Gründen ein Strafverfahren gegen Herrn Pastuchow
eröffnet. 90.
Ich hatte in meine Schreiben an
den Leiter des Ermittlungsausschusses und den Generalstaatsanwalt
Fragen zu der
behaupteten Belästigung der Anwälte von HSBC/Hermitage und
die Inhaftierung von
Sergei Magnizkei aufgenommen.
[114]
In der Antwort des Ermittlungsausschusses wurde bestätigt, dass
Herr Magnizkei
in einer bestimmten Strafsache als Zeuge vernommen worden war, [115]
doch zugleich unterstrichen, Zwangsmaßnahmen seien nicht gegen
ihn ergriffen
worden und insbesondere sei er nicht „in Haft“ gewesen. Nachdem ich
diese
Erwiderung mit Herrn Magnizkeis Anwälten überprüft
hatte, die mir Dokumente
vorgelegt hatten, die seine Inhaftierung belegten, stellte es sich
heraus, dass
Herr Magnizkei unter einer anderen Fallnummer in Haft genommen worden
war,
[116]
die auch für den Hermitage-Komplex galt. Die Antwort des
Ermittlungsausschusses
war, gelinde gesagt, leicht misszuverstehen. Angesichts dieser
Erwiderung und
der genauen Angaben der für HSBC/Hermitage tätigen
Anwälte (Daten, Orte und
beteiligte Persons, auch auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden)
bin ich nicht
überzeugt, dass ich ohne weitere Nachfragen die zusätzliche
Erklärung in dem
Antwortschreiben hinnehmen kann, dass „für die Firma
HSBC/Hermitage arbeitende
Anwälte … nicht befragt (wurden)“, was sich einmal mehr nur auf
eine einzelne
Fallnummer beschränken mag. Die Antwort der
Generalstaatsanwaltschaft zu diesem
Fall ist insofern präziser, als sie Herrn Magnizkeis Inhaftierung
einräumt und
die Haftgründe nennt – ein Strafverfahren, das am 4. Oktober
2004 von
Ermittlern des Innenministeriums der Republik Kalmückien wegen
Steuerflucht angestrengt worden war. Sie
liefert jedoch keine Erklärung dafür, weshalb er im November
2008 festgenommen
und dann mehrere Monate lang nicht ein einziges Mal verhört wurde.
Entgegen der
Antwort des Ermittlungsausschusses erkennt die
Generalstaatsanwaltschaft an,
dass gegen für HSBC/Hermitage tätige Anwälte
Strafverfahren eingeleitet wurden,
auch gegen Herrn Magnizkei, Herrn Chairetdinow und Herrn Pastuchow (bei
dem
letzteren auch wegen „Verwendung gefälschter Unterlagen“). 91.
Herr Genri Markowitch Reschnik,
der Vorsitzende der Moskauer Anwaltskammer, teilte mir mit, er habe den
Leiter
des Ermittlungsausschusses angeschrieben und verlangt, die für die
Verfolgung
der Hermitage-Anwälte verantwortlichen Personen zur Rechenschaft
zu ziehen. Innerhalb
der Moskauer Anwaltskammer wurde kürzlich ein
Anwaltsschutzausschuss
eingerichtet, um gegen die rechtswidrige Verfolgung von Anwälten
Widerstand zu
leisten. Mehrere prominente
Menschenrechtsanwälte 92.
Ein weiterer in
den Medien publik gemachter
Fall der Vergeltung gegen einen Anwalt ist die Ermordung von Herrn
Markelow am
19. Januar 2009, die zu einer öffentlichen Erklärung des
Ausschusses für
Recht und Menschenrechte 93.
Der Anwalt Boris Kusnezow hatte
unter anderem festgestellt, dass sein Mandant, ein Mitglied des
Föderationsrats, rechtswidrig abgehört worden war. Seine
erste Beschwerde beim
Obersten Gerichtshof wurde nicht einmal behandelt. Er rief dann den
Verfassungsgerichtshof an und fügte eine Kopie eines Berichts bei,
aus der
hervorging, dass tatsächlich abgehört worden war. Da der
Bericht als geheim
eingestuft worden war, wurde Herr Kusnezow wegen Verletzung eines
Staatsgeheimnisses unter Anklage gestellt und musste ins Ausland
fliehen. Der
Anwalt, der mich über diesen Fall informierte, betonte, dass Herr
Kusnezow den
Bericht nicht an die Öffentlichkeit gegeben hatte. Er hatte ihn
lediglich als
Beweis eines Verstoßes, wegen dessen er sich im Auftrag eines
Mandanten
beklagte, dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt.
[118]
Die Antwort des Generalstaatsanwalts auf meine diesbezüglichen
Fragen beschränkt
sich auf Zitate aus der Gesetzgebung, wonach auch Anwälte
Amtsgeheimnisse
wahren müssen, mit denen sie bei ihrer Arbeit in Berührung
kommen sowie auf den
nachdrücklichen Hinweis, solche Geheimnisse würden
„preisgegeben“, wenn solche
Informationen „anderen“ zur Kenntnis kämen – was
implizite auch die Mitglieder
des Verfassungsgerichtshofs der Russischen Föderation
einschließt. f. Unzulängliche
Sicherungsmaßnahmen während des Verfahrens gegenüber
Unregelmäßigkeiten in der
Ermittlungsphase
g. „Rechtsnihilismus“
– zwei beispielhafte Fälle
97.
Das Wort „Rechtsnihilismus“ kam
mir auch in den Sinn, als ich bis in alle Einzelheiten über zwei
beispielhafte
Fälle informiert wurde: den zweiten Chodorkowski/Lebedew-Prozess
und die Wirren
um den Hermitage Fund. ·
Die
Jukos-Fälle – Michail Chodorkowski,
Platon Lebedew und andere
100.
Soweit überhaupt klar ist, was die neuen
Anklagepunkte
beinhalten, [128]
scheinen sie
der ersten Verurteilung von Herrn Chodorkowski und Herrn Lebedew zu
widersprechen. In dem ersten Urteil wurden die beiden früheren
Jukos-Manager im
Wesentlichen aufgrund folgender Tatbestände strafrechtlich des
Betrugs und der
Steuerflucht für schuldig befunden: Dem Gericht zufolge
blähten sie die Gewinne
der in Niedrigsteuergebieten der Russischen Föderation
ansässigen
Handelsgesellschaften künstlich auf, die nicht mit Jukos verbunden
waren, aber
“Scheingesellschaften” gewesen sein sollen, die von Chodorkowski und
Lebedew
kontrolliert wurden. Dies soll zu Lasten der im höher besteuerten
Moskau
ansässigen Muttergesellschaft erfolgt sein, und zwar indem die
Produktionstöchter Öl zu einem niedrigen Preis an die
Handelsgesellschaften
verkauften, die es dann zu (höheren) Weltmarktpreisen
weiterverkauften. Ich
möchte die von dieser Verurteilung aufgeworfenen Rechtsfragen
nicht
kommentieren, auch nicht den Umstand, dass alle
ressourcengestützten Firmen
Angaben zufolge dasselbe „Steuerschlupfloch“ genutzt hatten, das –
rückwirkend [129]
– viele
Jahre nach den betreffenden Transaktionen geschlossen worden war oder
dass die
Strafverfolgung der ehemaligen Jukos-Manager selektiv erfolgte. [130]
Es ist jedoch klar, dass mit dem ersten Urteil nicht einmal die
Rechtmäßigkeit
der Förderung und des Verkaufs des Öls sowie der
Verfügung über die Erlöse in
Frage gestellt wurde, welche teils in das Unternehmen reinvestiert,
teils an
die Aktionäre ausgeschüttet wurden. Der Streit ging darum, ob
Jukos Steuerzahlungen
gesetzestreu vermieden („optimiert“) oder eine strafbare Steuerflucht
begangen
hatte. [131] 101.
Herr Chodorkowski and Herr Lebedew beklagten
sich während
ihres ersten Prozesses über parallel geführte Ermittlungen
der
Generalstaatsanwaltschaft. Sie beschwerten sich, sie hätten
spätestens zu
Beginn des ersten Prozesses 2004 gemäß Artikel 6 EMRK
von allen
Anklagepunkten in Kenntnis gesetzt werden müssen. Gut drei Jahre
später, als
sie gerade für eine bedingte Entlassung in Frage kamen, wurden sie
infolge
dieser parallel betriebenen Ermittlungen angeklagt. Die
Parallelermittlungen in
Bezug auf damit verbundene Behauptungen von Fehlverhalten hätten
vor Beginn des
ersten Prozesses abschließend behandelt, offengelegt und mit
einer Entscheidung
darüber beendet werden sollen, ob weitere Anklagepunkte
hätten vorgebracht
werden sollen oder können. Herr Chodorkowski und Herr Lebedew
erklären dazu, es
sei ein unerträglicher Verfahrensmissbrauch gewesen, die
Staatsanwaltschaft
mehr als eine Ermittlung über das im Wesentlichen gleiche
Fehlverhalten durchführen
zu lassen. 102.
Mit den neuen Anklagepunkten werden Herr
Chodorkowski und Herr
Lebedew beschuldigt, das gesamte Öl veruntreut zu haben, das die
drei
Jukos-Produktionstöchter in sechs Jahren gefördert hatten;
Aktien unterschlagen
zu haben, die eine Jukos-Tochter an einer der Produktionsgesellschaften
sowie
fünf anderen Firmen gehalten hatte und die Erlöse aus dem
Verkauf des angeblich
veruntreuten Öls und der Anteile an den indirekten
Tochtergesellschaften
„gewaschen“ zu haben. Der Punkt „Öldiebstahl“ wirkt bizarr: Er
würde die
Kriminalisierung der oben beschriebenen offen und allgemein angewandten
Geschäftspraxis bedeuten – dabei würden die „Verluste“ der
Produktionstöchter die
Differenz zwischen den von der Handelstochter wahrgenommenen
Spot-Preisen am Markt
von Rotterdam und dem der Produktionsgesellschaft gezahlten
niedrigeren Preis
ausmachen wie auch die Kriminalisierung als „Geldwäsche“ der
Verfügung über
sämtliche normalen Unternehmensgewinne für reguläre
Unternehmenszwecke (Investitionen
und Ausschüttung von Dividenden in Übereinstimmung mit
transparenten, geprüften
Bilanzen). [132]
Der
Anklagepunkt, wonach Herr Chodorkowski und Herr Lebedew das Öl
„gestohlen“ oder
Aktiva von Jukos in anderer Form zu ihrem persönlichen Vorteil
veruntreut haben
könnten, scheint ebenfalls von vornherein aufgrund eines
Vergleichs der
nachstehenden Zahlen widerlegt zu sein: [133]
Von 1998 bis 2003 verzeichnete Jukos einen Betriebsgewinn von
US$ 55,2 Mrd.
In dem gleichen Zeitraum zahlte das Unternehmen unter anderem
US$ 21,8
Mrd. für Betriebsaufwand (auch auf der Ebene der Explorations- und
Fördergesellschaften), US$ 16,9 Mrd. an Steuern und
US$ 9 Mrd.
für Investitionen. Wie können die Angeklagten bei einer
Differenz zwischen
Einnahmen und Ausgaben von weniger als US$ 8 Mrd. zu ihrer
persönlichen
Bereicherung US$ 25,3 Mrd. „unterschlagen“ haben? [134]
Woher soll dieses Geld gekommen sein? 103.
In der Erwiderung auf meine skeptische Frage,
ob es nicht
darum gehen könne, dass Minderheitsaktionäre rechtswidrig
benachteiligt wurden,
wurde mir mitgeteilt, alle Streitigkeiten mit
Minderheitsaktionären seien schon
vor Jahren beigelegt worden und selbst die Staatsanwaltschaft behaupte
nicht, Rechte
von Minderheitsaktionären seien verletzt worden. Im Wesentlichen
wird Jukos, also
praktisch seinen leitenden Managern, darum vorgeworfen, das eigene
Öl gestohlen
zu haben und die Straftat der Geldwäsche zu begehen, indem es das
Öl auf dem
Weltmarkt verkauft und die Erlöse für normale
Unternehmenszwecke verwendet. 104.
Der zweite neue Anklagepunkt – Unterschlagung
von Aktien und Geldwäsche
der Erlöse – ist ein wenig komplizierter, doch scheint er der
früheren
Einstellung der Behörden ebenfalls zu widersprechen. Die
Staatsanwaltschaft behauptet,
die Angeklagten hätten die Aktien einer Jukos-Tochter (VNK)
unterschlagen,
einer Holdinggesellschaft, die eine Mehrheitsbeteiligung an sechs
Betriebsgesellschaften hielt. Die Staatsanwaltschaft behauptet, die
Angeklagten
hätten Aktien dieser Betriebsgesellschaften veruntreut, indem sie
unzulässigerweise VNK zu Vereinbarungen mit Jukos veranlassten,
bei seinen
operativen Tochtergsellschaften Jukos-Aktien gegen VNK-Aktien zu
tauschen. [135]
Die Verteidigung betont, dass die Aktientauschvereinbarungen ein Mittel
zum
rechtmäßigen Schutz der Aktiva von VNK darstellten (welche
durch einen damals laufenden
Prozess bedroht waren, der auf Betrugsmanöver des früheren
VNK-Managements
zurückging) und somit auch der Russischen Föderation zugute
kamen, die damals 37%
der VNK-Aktien hielt. Der Minister für Staatsvermögen wusste
von dem Aktientausch
und billigte ihn. Nachdem der betreffende Streit gelöst worden war
und im
Anschluss an eingehende Ermittlungen über die
Jukos/VNK-Aktientauschvereinbarungen
zwischen 1999 und 2001 beschloss die Russische Föderation 2002,
Jukos ihre
verbliebenen VNK-Aktien zu verkaufen. Die Verteidigung meint dazu, die
Behörden
könnten jetzt nicht argumentieren, Jukos habe rechtswidrig
versucht, durch die
erwähnten Tauschmaßnahmen die Kontrolle über die
Aktiva von VNK zu erlangen. 105.
Neben ihrer anscheinend bestehenden
Widersprüchlichkeit
gegnüber dem ersten Urteil gegen Herrn Chodorkowski und Herrn
Lebedew scheinen
die neuen Anklagepunkte der Unterschlagung von Öl und der
Geldwäsche auf genau
den gleichen Tatsachen zu beruhen – der Ölförderung durch
hundertprozentige Tochtergesellschaften
von Jukos und dem Verkauf auf dem Weltmarkt über die von den
Angeklagten
geführte Muttergesellschaft. Dabei fällt einem natürlich
die Vorschrift ne bis in idem (Artikel 4
Absatz 1
des Protokolls Nr. 7 der EMRK) ein, da die neuen Anklagepunkte
anscheinend
bezwecken, den gleichen Tatbeständen andere rechtliche
Bezeichnungen
zuzuordnen, statt die Angeklagten wegen anderer Tatbestände zu
verfolgen. [136] 106.
Eine weitere mit Jukos verbundene Strafsache
endete mit einer
Verurteilung zu lebenslänglicher Haft, die von der breiten
Öffentlichkeit so
gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen wurde: Es ging um Herrn Alexei
Pitschugin,
einen Abteilungsleiter des internen Sicherheitsdienstes von Jukos, der
zuvor
als Offizier des KGB/FSB tätig gewesen war. In meinem Bericht von
2005 über
„die Umstände der Verhaftung und Strafverfolgung leitender
Jukos-Manager“ beschrieb
ich einige auffällige Anomalien der Vorermittlungen gegen Herrn
Pitschugin, die
damals gerade erst begonnen hatten. [137]
Besonders beunruhigten mich Informationen, denen zufolge Herrn
Pitschugin mit
Vergeltung gedroht worden war, weil er es abgelehnt hatte, gegen
leitende
Jukos-Manager falsch auszusagen und dass sein Prozess unter strikter
Geheimhaltung stattfinden werde. Ich berichtete auch über die
Aussage eines
Anwalts, der sich für einen Mann namens Reschetnikow einsetzte,
welcher seinem
Anwalt zufolge zu Unrecht wegen eines von Jukos angeordneten
Mordversuchs an
einem Geschäftsmann namens Rybin verurteilt worden war, der den
Mordversuch in
Wirklichkeit erfunden hatte, um seine Interessen bei einer Klage gegen
Jukos in
Österreich zu fördern. Herr Reschetnikow war seinerzeit in
die Haftanstalt
Lefortowo verlegt worden, wo ihm, wie es heißt, ein „Deal“
angeboten wurde – Freiheit bei
einer Falschaussage gegen Jukos-Manager. Auf Anraten seines Anwalts,
der mir
auch beschrieb, wie schwierig es für ihn gewesen sei, Zugang zu
seinem
Mandanten zu erhalten, lehnte Herr Reschetnikow es seinerzeit ab, auf
diesen
„Deal“ einzugehen. [138]
Bei meinem letzten Besuch in Moskau überreichte mir eine junge
Frau, die sich
als Herrn Pitschugins „Pflichtverteidigerin“ bezeichnete, einen
Artikel, in dem
der Fall ihres Mandanten zusammengefasst war. Ich war doch recht
entsetzt, als
ich feststellte, dass Herr Pitschugin diesem Dokument zufolge unter
anderem
wegen versuchten Mordes an Herrn Rybin wegen zwei Beweisunterlagen
verurteilt
wurde: der Aussage von Herrn Reschetnikow und einer handschriftlichen
Aufzeichnung aus Herrn Pitschugins Wohnung mit Herrn Rybins Anschrift
(Herr Pitschugin
bestritt, dass der Vermerk von ihm geschrieben worden sei, und der
Antrag der
Verteidiger, ein graphologisches Gutachten einzuholen, war von dem
Gericht
abgelehnt worden). Ein weiterer beunruhigender Aspekt des Prozesses
gegen Herrn
Pitschugin ist die Art und Weise, wie die Einvernahme der Zeugen bei
dem
zweiten Versuch „absolviert“ wurde, die Zweifel zu beseitigen, die den
Obersten
Gerichtshof dazu veranlasst hatten, den ersten Schuldspruch vom
17. August
2006 aufzuheben. Bei dem ersten Prozess hatte Herr Reschetnikow
nämlich
ausgesagt, er habe das Honorar für den Mord an Herrn Pitschugin
und Herrn Newslin
über einen (verstorbenen) Mittelsmann erhalten. Die Verteidigung
hatte gegen
die Verwendung solcher Beweise vom „Hörensagen“ protestiert. In
dem zweiten
Prozess erinnerten sich die Zeugen mit einem Mal daran, dass Herr
Pitschugin und
Herr Newslin bei diesem Gespräch selbst dabeigewesen waren. Auch
während des
ersten Prozesses blieben, wie es heißt, Widersprüche
zwischen dem Aussehen des
(dunkelhaarigen) Herrn Reschetnikow, der des betreffenden Mords
angeklagt war und
zahlreichen Zeugen, die am Tatort eine blonde Person gesehen hatten,
unaufgeklärt. In dem zweiten Prozess erinnerten sich Herr
Reschetnikow und der
andere Kronzeuge erstmals, dass sie seinerzeit blonde Perücken
trugen. 107.
Diese Punkte, auf ich mehr oder weniger
zufällig stieß,
lassen mich befürchten, dass auch Herr Pitschugin zum Opfer der
unerbittlichen
Kampagne gegen alle geworden sein könnte, die etwas mit Jukos und
seinen
leitenden Managern zu tun hatten. ·
HSBC/Hermitage Capital 108.
Der zweite geradezu symbolische Fall ist der
von Hermitage
Capital, einer Investmentgesellschaft, die sich auf
Kapitalbeteiligungen an
russischen Unternehmen spezialisiert hatte. Vor den weiter unten
beschriebenen
Ereignissen war Hermitage Capital der größte
ausländische Investor am
russischen Aktienmarkt und einer der größten Steuerzahler
der Russischen
Föderation. Zur Strategie des Unternehmens, die aus rein
geschäftlichen Gründen
und ohne ideologische oder politische Zielsetzungen gewählt worden
war, gehörte
die Einführung westlicher Rechnungslegungsmethoden bei Firmen, in
die Hermitage
investierte und damit auch die Bekämpfung der Korruption. Der
Hermitage Fund wurde
das Opfer der Korruption und Kollusion hoher Polizeibeamter und
organisierter
Krimineller – mit der Folge der Unterschlagung
(„Firmendiebstahl“) seiner
drei der HSBC-Bank gehörenden Investmentgesellschaften (Rilend,
Mahaon und
Parfenion), des betrügerischen Fingierens falscher
Verbindlichkeiten gegen sie
in Höhe von US$ 1,26 Mrd. und einer durch Betrug
erzielten
Rückzahlung von US$ 230 Mio. an Steuern, die die drei
Firmen gezahlt
hatten, durch die russischen Finanzbehörden. Der „Diebstahl“ der
Unternehmen
erfolgte mit Hilfe von Originalen der vorgeschriebenen
Firmenunterlagen, die
von Moskauer Polizeibeamten bei einer Durchsuchung der
Räumlichkeiten der
Unternehmen ohne rechtliche Handhabe beschlagnahmt worden waren. Damit
wurden
anschließend neue Vorstandsmitglieder
[139]
ernannt, die die oben erwähnten falschen Ansprüche
schleunigst „anerkannten“
[140]
– wobei es den rechtmäßigen Vorstandsmitgliedern bereits
gelungen war, die
Vermögenswerte der gestohlenen Firmen aus der Russischen
Föderation herauszuschaffen.
Die falschen Vorstände machten diesen Angriff auf Unternehmen dann
zu Geld,
indem sie die Erstattung von Steuern auf Gewinne verlangten, die, wie
sie den
Finanzbehörden mitteilten, durch die neu aufgetauchten Forderungen
an die Firmen
rückwirkend gelöscht wurden. Sie erwirkten bei den
Finanzbehörden Entscheide,
wonach innerhalb von 24-72 Stunden der Gegenwert von
US$ 230 Mio. zu erstatten sei. [141]
Ich wage nicht, darüber zu spekulieren, wie lange eine Forderung
nach der
Erstattung zuviel gezahlter Steuern, selbst bei einem deutlich
bescheideneren
Betrag, in der Russische Föderation normalerweise im Raum steht,
doch in
Deutschland würde es sich um Monate, nicht um Stunden handeln. 109.
Bisher sieht dies ganz einfach nach einem
weiteren Beispiel eines
„Firmenüberfalls“ (oder einer „feindlichen Übernahme“) nach
russischer Art aus,
worüber schon vielfach berichtet wurde. [142]
Neben der schieren Größe des betroffenen Unternehmens und
der internationalen
Auswirkungen ist dieser Fall insofern etwas Besonderes, als das
Management von
Hermitage/HSBC, als es versuchte, sich mit Hilfe der zuständigen
Behörden gegen
diese groß angelegten Betrügereien zu verteidigen, selbst
zum Opfer
systematischer Vergeltungsmaßnahmen wurde, die die
Unterstützung leitender
Polizeibeamter gehabt haben müssen. Bei diesen anscheinenden
Vergeltungsmaßnahmen
geht es um den internationalen Mechanismus der justiziellen Zusammenarbeit, deren
Funktionieren
angesichts behaupteter politisch motivierter Missbrauchshandlungen ich
zu
prüfen beauftragt bin. 110.
Herrn William Browder, britischer
Staatsbürger, Chief Executive
Officer von Hermitage Capital, wurde mit einem Mal die Erneuerung
seines
Einreisevisums in die Russische Föderation verweigert, obwohl sich
höchste
politische Kreise für ihn eingesetzt hatten. [143]
Die Betrugsmanöver gegen Hermitage Capital wurden in Beschwerden
an den
Generalstaatswalt der Russischen Föderation vom 3. Dezember
2007, dem
23. Juli 2008 und dem 27. Oktober 2008 dokumentiert. Den
für
Hermitage tätigen Anwälten zufolge ist auf diese Beschwerden
keine
materiell-rechtlich relevante Antwort ergangen. Ein höherer
Beamter, der von
den Beschwerden betroffen war, wurde den Ermittlungen gegen sich selbst
zugewiesen, und die Abteilung des Moskauer Süddistrikts des
Ermittlungsausschusses der Staatsanwaltschaft stellte
das Verfahren, das nach den Beschwerden
von HSBC/Hermitage eingeleitet worden war, schnell wieder ein. Statt
gegen die
„corporate raiders“ vorzugehen, begannen die Behörden
damit, alle
Anwälte einzuschüchtern, die in der Russischen
Föderation für HSBC/Hermitage tätig
waren, sie polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen und Einvernahmen
als Zeugen
auszusetzen. Vor allem wurde der selbständige Anwalt Sergei
Magnizkei, der
dabei geholfen hatte, die
Betrugsvorgänge und die Fälle von Amtsmissbrauch aufzudecken,
am
24. November 2008 festgenommen und ist seitdem in Haft.
[144]
Andere sahen sich gezwungen, im Vereinigten
Königreich Zuflucht zu
suchen. Dieselben
Polizeibeamten, die bei den Beschwerden in der Sache HSBC/Hermitage
beschuldigt
worden waren, an diesen groß angelegten Betrugsmanövern
beteiligt zu sein, sind
nun damit beschäftigt, die Manager und Anwälte des
Unternehmens mit Anklagen zu
verfolgen, die sehr weit hergeholt wirken und den früheren
Maßnahmen der
Behörden zu widersprechen scheinen. Im Wesentlichen scheinen die
Behörden jetzt
die legitimen Vorstandsmitglieder der SBC/Hermitage-Firmen zu
beschuldigen, sie
hätten den „Diebstahl“ ihrer eigenen Unternehmen sowie die
Anerkennung der
konstruierten Ansprüche selbst gesteuerrt, um den russischen Staat
zu betrügen.
Ich habe mich viele Stunden lang von Anwälten informieren lassen,
die für HSBC/Hermitage arbeiteten und
habe sie
befragt. Ebenso habe ich den russischen Generalstaatsanwalt und den
Vorsitzenden des Ermittlungsausschusses angeschrieben, um mich
über ihre Sicht
der Dinge informieren zu lassen. [145]
Die Antworten, die ich von dem Ermittlungsausschuss erhalten habe,
können nicht
zufriedenstellen. Insbesondere scheint die Aussage, eine Erwiderung auf
die im
Namen von Hermitage/HSBC eingereichte Beschwerde habe nicht versandt
werden
können, weil der Anwalt, der die Beschwerde eingereicht hatte,
keine Anschrift
hinterlassen habe, kaum glaubwürdig zu sein, bedenkt man den hohen
Einsatz und
die Professionalität der beteiligten Anwälte, von denen ich
viele persönlich
kennengelernt habe. Der Leugnung der Beteiligung eines bestimmten
Beamten an
der Prüfung von Beschwerden, in denen er selbst als einer der
Beschuldigten
erscheint, widerspricht eine lange Liste von Schreiben zu diesem Fall,
die von
eben jenem Beamten abgezeichnet wurde und von denen die Anwälte
von Hermitage/HSBC
mir Kopien zur Verfügung stellten. Die Antwort der
Generalstaatsanwaltschaft,
der entsprechende Beamte (ein Oberstleutnant) übe „keinerlei
Aufsichtsfunktionen“ aus, hilft nicht weiter, und die Leugnung der
Generalstaatsanwaltschaft, die Beschwerden von HSBC „vom
3. Dezember 2007,
dem 27. Oktober 2008 oder von irgendeinem anderen Zeitpunkt“ nicht
erhalten zu haben, wirft bei mir die Frage auf, ob irgendwann – rein
zufällig oder eben nicht – die interne Kommunikation oder die
Postzustellung
zusammengebrochen ist. [146] 111.
Natürlich bin ich immer noch nicht in
der Lage zu „beurteilen“,
wer hier Recht oder Unrecht hat, und das ist ja auch nicht die
Zielsetzung des
vorliegenden Berichts. Angesichts der zahlreichen merkwürdigen
Zufälligkeiten
und Widersprüche, insbesondere im Hinblick auf die Chronologie der
Ereignisse
im Verhältnis zu den Abwehrmaßnahen von HSBC/Hermitage und
den
Vergeltungsmaßnahmen gegen seine Manager und Anwälte sowie
schließlich im
Lichte der Monate anhaltenden völligen Unfähigkeit der
Justizbehörden, selbst
bei derart groß angelegten Betrugsmanövern, zu deren Opfern
auch der russische
Staat selbst gehört, zu reagieren, kommt bei mir ganz einfach der
Verdacht auf,
dass dieser koordinierte Angriff die Unterstützung hoher Beamter
gehabt haben
muss. Diese scheinen sich für ihre eigenen Zwecke die anhaltenden
systemischen
Schwächen des Strafrechtssystems der Russischen Föderation
zunutze zu machen. 112.
Meiner Ansicht nach ist eine sachgerechte
Untersuchung in
diesem geradezu symbolhaften Fall, bei der die Betrüger ebenso zur
Rechenschaft
gezogen werden wie die Polizeibeamten, die ihnen anscheinend geholfen
haben,
unverzichtbar. Das könnte im Übrigen auch ein guter
Prüfstein für die neuen
Strukturen sein, bei denen es um eine Trennung und Arbeitsteilung
zwischen den
Dienststellen der Generalstaatsanwaltschaft und denen des
Ermittlungsausschusses geht, was Ermittlungen über vermutete
Missbrauchsfälle
von Bestandteilen einer Struktur, die von Mitgliedern der anderen
begangen
wurden, erleichtern sollte. ·
Andere Fälle vermuteter
politischer Einmischung in strafrechtliche Verfahrensabläufe
114.
Der Fall des
Mordes an
der Journalistin Anna Politkowskaja stellt dem Anwalt der Familie des
Opfers
zufolge ein Beispiel für die berufliche Unfähigkeit der
Strafverfolgungsbehörden dar, die sich daran gewöhnt hatten,
Verurteilungen
praktisch nach Belieben zu erwirken, ohne in einem Fall sachgerecht
ermitteln
und dem Gericht überzeugende Beweise vorlegen zu müssen.
Dieser Fall stellt den
Anwälten zufolge ein Musterbeispiel für die mangelnde
Unterstützung durch die
Generalstaatsanwaltschaft vor Gericht dar, wenn es um von der
Ermittlungskommission untersuchte Fälle geht, worin weithin eine
schändliche
Schmach für beide Einrichtungen gesehen wird. Bei der Suche nach
den wirklichen
Tätern und den Anstiftern der Straftat war wertvolle Zeit verloren
gegangen.
Die Anwälte der Verwandten des Opfers hatten fast jede Woche
konkrete
Ermittlungsmaßnahmen verlangt, um den Verlust von
Beweismaterialiejn zu
vermeiden, jedoch vergebens. Sie empfanden es außerdem als
seltsam,, dass einer
Angeklagten, der FSB-Oberst Rjagusow, nicht der Mittäterschaft an
dem Mord,
sondern nur der Weitergabe von Frau Politkowskajas Anschrift
beschuldigt worden
war. Es stellt sich die Frage, weshalb die Anklage gegen Herrn Rjagusow
von der
gegen die übrigen Beteiligten abgetrennt und dann ausgesetzt
wurde, obwohl
eindeutige Beweise gegen ihn sprachen. Ein wichtiger Sieg für die
Anwälte
beider Seiten war die öffentliche Durchführung des Prozesses,
die ihrer Ansicht
nach allen vor Augen führte, wie schlecht die
Ermittlungsbehörden gearbeitet
hatten. Die Anwälte befürchten nun, dass die wirklichen
Verantwortlichen der
Straftat, ganz zu schweigen von den Anstiftern und Organisatoren, nie
ermittelt
werden können. 115.
In ihren Antworten auf meine
diesbezüglichen Fragen bestanden
sowohl der Ermittlungsausschuss als auch die Generalstaatsanwaltschaft
darauf,
genügend Beweismaterial zusammengetragen zu haben, um die
Angeklagten zu
verurteilen und die Generalstaatsanwaltschaft betonte, sie habe
ausreichende
Beweise beisammen und unterstrich,
während der Gerichtsverhandlung (auch der Berufungsverhandlung)
sei es ihr
gesetzlich untersagt, weiter zu ermitteln, um ihre Position
zusätzlich zu
untermauern. Die Generalstaatsanwaltschaft empfand meine Frage darum
als
„überaus unangemessen“. Ich sehe dies anders: Ich hatte die
Generalstaatsanwaltschaft nicht gefragt, was sie tue, um mehr Beweise
gegen
diejenigen zusammenzutragen, die zurzeit der Straftat beschuldigt
werden (und
die durchaus unschuldig sein könnten), sondern was sie unternehme,
um den/die
wirklichen Mörder und insbesondere die Anstifter und Organisatoren
dieser
Straftat zu finden. 116.
Als ehemalige Berichterstatterin über
den Fall Gongadse in der
Ukraine
[148]
kann ich den
Anwälten der Familie des Opfers nur darin zustimmen, dass der
Zeitfaktor eine
entscheidende Rolle spielt. Es wird Sache der Versammlung sein, auch
diesem
Fall weiterhin große Aufmerksamkeit zu schenken. 117.
Der Fall von Juri Samodurow, des Direktors
des Sacharow-Museums,
macht deutlich, wie der Missbrauch des Strafrechtssystems die
Meinungsfreiheit
bedrohen kann. Herr Samodurow war zuvor schon einmal wegen einer
Kunstausstellung verurteilt worden, die von verärgerten orthodoxen
Gläubigen
verwüstet worden war, welche sich über einige der
ausgestellten Kunstwerke
empörten – wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Veranstalter der
Ausstellung,
nicht die Wandalen, bestraft wurde. Eine neue Ausstellung des
Sacharow-Museums
mit dem Titel „Verbotene Kunst 2006“ zeigt Werke, die bis in die
Sowjetzeit
zurückreichen und religiöse Symbole als „antisowjetisch“
darstellen. Die
Ausstellung im Sacharow-Zentrum verspottet die sowjetische
Realität, indem
sowjetische Symbole gezeigt werden, als würden sie „verehrt“ wie
religiöse
Symbole. Um jede Gefahr zu vermeiden, jemandes religiöse
Empfindungen zu
verletzen, wurden die Kunstwerke mit einer Mauer abgeschirmt und waren
nur
durch Löcher in dieser Mauer zu besichtigen, die nur durch
Besteigen einer
Leiter – an einem Warnzeichen vorbei – zu
errreichen waren, eine meiner
Meinung nach humorvolle Art und Weise, den uralten Spruch „volenti
non fit
inuria“ zu Herzen zu nehmen. Dennoch erklommen einige orthodoxe
Gläubige
die Treppen, blickten durch das Loch und fühlten sich „beleidigt“ – und
übten
anschließend Druck auf die Staatsanwaltschaft aus, ein Verfahren
gegen Herrn
Samodurow einzuleiten. In dem neuen Prozess, der am 3. April 2009
begann,
wird Herr Samodurow des „Extremismus“ beschuldigt, was bedeutet, dass
er die
Leitung des Sacharow-Museums aufgeben musste, um zu vermeiden, dass es
bei
einer Verurteilung geschlossen werden könnte. Die
Höchststrafe liegt bei
5 Jahren Haft, und allein schon der Prozess hat einen Eishauch
über die
(künstlerische) Ausdrucksfreiheit wehen lassen. 118.
In seiner Erwiderung auf meine Fragen zu
diesem Fall erklärte
der Leiter der Ermittlungskommission, dass
„Bürger, die den überkommenen kulturellen Werten des
russischen Volkes
(anhingen) und insbesondere Anhänger des orthodoxen Glaubens oder
Befürworter
des orthodoxen Christentums sowie vor allem die Besucher der
Ausstellung ein
überaus schweres mentales Trauma erlitten (hätten), als sie
die
Ausstellungsstücke sahen, wodurch ihre persönliche
Integrität und ihr
bestehendes Weltbild direkt untergraben wurden, was ein traumatisches
Ereignis
und einen nachdrücklichen Stressfaktor darstelle, der ihnen
moralisches Leiden
und Stress sowie das Gefühle vermittelt habe, sie seien in ihrer
persönlichen
Würde erniedrigt worden”. 119.
Meiner Meinung nach ist die „Untergrabung des
bestehenden
Weltbilds“ geradezu ein Teil des Kunstbegriffs. Die
Polizeibehörden der Russischen
Föderation scheinen darin einen strafverschärfenden Faktor zu
sehen, der die
Kriminalisierung des künstlerischen Ausdrucks rechtfertigt. Als
Reaktion auf
den Aspekt „volenti non fit inuria“ meinte der
Ermittlungsausschuss, die
Veranstalter der Ausstellung hätten böswillig die menschliche
Neugier
ausgenutzt, da ihnen „klar war, dass die Besucher durch
die Öffnung in der Trennwand blicken
würden – nicht weil sei den Vorstellungen der
Künstler und der
Ausstellungsveranstalter zustimmten oder mit ihnen einverstanden waren,
sondern
einfach deshalb, weil sie in die Ausstellung gekommen waren, um erst
einmal zu
sehen, was ausgestellt wurde“. 120.
Der Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft,
der Grundsatz volenti
non fit inuria bedeute nach russischem Recht keinen Grund, die
Strafbarkeit
einer Handlung auszuschließen. Zwar
gilt
mit Sicherheit für alle Rechtssysteme, dass bestimmte gesetzlich
geschützte
Interessen (wie Leben und Gesundheit) nicht einmal zur Disposition der
geschützten Personen selbst stehen, doch für andere
Interessen gilt dies
eindeutig nicht. Wenn ich einen Teil meines Vermögens abtrete, ist
der
Empfänger des Geschenks kein Dieb. Und wenn ich mich bewusst
dafür entscheide, mich
Kunstobjekten auszusetzen, die mich unter Umständen schockieren
oder gar mein
bestehendes Weltbild untergraben, kann ich mich nicht beklagen, wenn es
genau
dazu kommt. 121.
Die Fälle der beiden Wissenschaftler,
Herr Sutjagin and Herr
Danilow, die nach offensichtlich fehlerhaften Verfahren wegen Preisgabe
von
Staatsgeheimnissen zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, waren
Gegenstand
von Christos Pourgourides’ Bericht über Fragen eines fairen
Verfahrens in Spionagefällen.
[149]
Meine NRO-Gesprächspartner in Moskau drängten mich zu
bedenken, dass die beiden
Männer trotz des Appells der Versammlung, sie freizulassen, immer
noch im
Gefängnis sind und ihre Gesundheit sich rapide verschlechtert. Ich
möchte den
Aufruf der Versammlung bekräftigen, die beiden Männer
baldmöglichst
freizulassen – aus justiziellen wie aus humanitären
Gründen. III.
Der Begriff der
„politisch motivierten Missbräuche“ des Strafrechtssystems 122.
Der Begriff des „politisch motivierten
Missbrauchs“ des
Strafrechtssystems nimmt in diesem Bericht eine zentrale Stellung ein.
Zwar ist
klar, dass jede politisch motivierte Manipulation eines Strafverfahrens
als
Missbrauch zu werten ist, doch liegt die Schwierigkeit in der
Feststellung der
Manipulation als solcher (d.h. als Abweichung von dem normalen
Verfahrensgang
aufgrund eines Eingreifens von außen) sowie der „politischen“
Motivation einer
solchen Motivation. 123.
Um über reine Spekulationen und
Mutmaßungen hinauszukommen,
werden objektive Kriterien und Angaben erarbeitet werden müssen,
die uns
Schlüsse auf das Vorliegen oder Fehlen politisch motivierter
Missbräuche
gestatten. Es folgen einige denkbare Kriterien oder Angaben. i.
Diskriminierung 124.
Ein wichtiger Indikator für das
Vorliegen eines politisch
motivierten Missbrauchs kann darin bestehen, dass eine bestimmte Person
(politischer
Gegner, Konkurrent) deutlich härter herangenommen wird als andere,
die sich
ähnlich verhalten haben. Die Härte der Behandlung kann im
Ergebnis zum Ausdruck
kommen, d.h. der von dem Gericht verhängten Strafe oder dem
Verfahren selbst,
also der (Dauer der) Untersuchungshaft, der (fehlenden) Wahrung der
Rechte der
Verteidigung, Druck auf die Strafverteidiger oder sogar beides. 125.
Beispiele für eine solche
Diskriminierung (nicht
gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung) gibt es leider in den von
mir
betrachteten Fällen in der Russischen Föderation im
Übermaß: Das Verhalten der
Strafverfolgungsbehörden, das ich in meinem vorigen Bericht
über die Anklage ehemaliger
leitender Jukos-Manager beschrieben hatte,
[150]
setzt sich bei dem neuen Prozess gegen Herrn Chodorkowski und Herrn
Lebedew
fort
[151]:
Keinem anderen Ölmanager in der Russischen Föderation wird vorgeworfen, das gesamte von seinem
Unternehmen
geförderte Öl unterschlagen und die Verkaufserlöse
„gewaschen“ zu haben, indem
er die gleiche vertikal integrierte Geschäftsstruktur nutzte, die
in der
Branche der Standard ist. Der harte Umgang mit der für die
Rechtsabteilung von
Jukos arbeitenden jungen Mutter, Frau Bachmina
[152],
und dem sterbenskranken Anwalt Herr Aleksanjan [153],
wobei in dem letzteren Fall sogar mehrere Verfügungen des
Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte 126.
Die Drangsalierung der Manager und
Anwälte von HSBC/Hermitage[156]
liefert weitere Beispiele. Die lange Untersuchungshaft – unter
entsetzlichen Haftbedingungen – eines führenden selbständigen
Anwalts, Herrn Magnizkeis, und
die Einleitung eines Strafverfahrens gegen zwei weitere, Herrn
Chareytdinow und
Herrn Pastuchow –, die beide der Verwendung falscher Vollmachten zur
Fortsetzung ihrer Tätigkeit für HSBC/Hermitage sowie der
Ablehnung der
„Autorität“ der neuen Vorstandsmitglieder angeklagt wurden, die
von denen
ernannt wurden, gegen die sie Strafanzeige wegen „Diebstahls“ der
betreffenden
Firmen erstattet hatten, sprechen für sich selbst. 127.
In den drei anderen von mir besuchten Staaten
konnte ich
keinerlei vergleichbaren Missbrauch feststellen. ii.
Öffentliche
Erklärungen hochgestellter Vertreter der Exekutive zur Schuld der
Angeklagten 128.
Diese Methode der Beeinflussung eines
laufenden
Strafverfahrens ist recht grobschlächtig und leicht durchschaubar,
wird aber
immer noch überraschend oft angewandt. 129.
Mehrere entsprechende Beipiele enthält
der Bericht von Christos
Pourgourides über Fragen eines fairen Verfahrens in mit der
Verletzung von
Staatsgeheimnissen oder Spionage verbundenen Fällen.
[157]
Die Strafverfolgung von Richter xxx (Name unverständlich,
Anm.d.Üb.) ist
ein weiteres eklatantes Beispiel
[158]. iii.
Unzureichend
spezifizierte oder sich ständig ändernde Anklagepunkte 130.
Unklar formulierte Anklagepunkte, entweder im
Hinblick auf
die rechtliche Einstufung der Straftat, der jemand beschuldigt wird
oder auf
die Handlungen oder sonstigen Sachverhalte, die jemand sich angeblich
hat zu
schulden kommen lassen wie auch sich häufig ändernde
Anklagepunkte – nachdem die
ursprünglichen Tatvorwürfe sich als unhaltbar erwiesen haben – sind
typische Hinweise auf Beweggründe der Strafverfolger, die
über die neutrale
Durchsetzung des Strafrechts hinausgehen. 131.
Rudolf Bindigs Bericht über den Fall des
Umwelt-Whistleblowers
Grigori Pasko
[159]
trifft darauf
genauso zu wie die Fälle Sutjagin, Danilow, Trepaschkin und
Moisejew in Herrn
Pourgourides Bericht über „Fair trial issues in cases involving
espionage and
violations of state secrecy”. [160] 132.
Die neuen Anklagen gegen Herrn Chodorkowski
und Herrn Lebedew
sind außerdem unzureichend spezifiziert: Ungeachtet der
ständigen Ermahnungen
der Verteidigung hat die Staatsanwaltschaft es bisher versäumt
darzulegen,
welche Tatbestände sie mit welchen Beweisen zu belegen gedenkt und
was dies für
die strafrechtliche Haftung bedeuten soll. Die Behauptung, Herr
Chodorkowski und
Herr Lebedew hätten während eines bestimmten Zeitraums das
gesamte von Jukos
geförderte Öl unterschlagen und die Einstufung gewaltiger
Mengen an
Firmenunterlagen als „Beweismaterial“ scheinen nicht auszureichen. Die
neuen
Anklagepunkte, bei denen es im Wesentlichen um die gleichen
Geschäftsvorgänge
wie im ersten Prozess zu handeln scheint, dürften ebenfalls, wie
es aussieht, eine
beträchtliche Veränderung in der rechtlichen Bewertung durch
die Staatsanwaltschaft
zeigen, – von Steuerhinterziehung bei ansonsten legalen
Ölverkäufen zur
Veruntreuung eben dieses Öls. iv.
Mangelnde Unabhängigkeit
des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft 133.
Während spezifische Weisungen (der
berüchtigte
„Telefonanruf“) in einzelnen Fällen schwer nachzuweisen sind,
ergeben sich bei
einem Vergleich der Rechtssysteme bestimmte strukturelle Probleme des
Strafrechtssystems wegen unzureichender Unabhängigkeit der Richter
und
Staatsanwälte. Ein solches Fehlen der
Unabhängigkeit
ist in einzelnen Fällen eine notwendige, wenn auch nicht
ausreichende
Voraussetzung für politisch motivierten Missbrauch in einzelnen
Fällen. 134.
Der Vergleich zwischen dem britischen, dem
französischen, dem
deutschen und dem russischen Modell hat mehrere Schlussfolgerungen
ergeben. 135.
Zuerst einmal ist die tatsächliche
Unabhängigkeit nicht nur
durch die rechtlichen und administrativen Strukturen bedingt, sondern
auch – in wirklich
hohem Maße – durch die Persönlichkeit der einzelnen
Richter und
Staatsanwälte auf allen Ebenen sowie durch ihre persönliche
Statur, ihren Mut
und ihre Entschlossenheit, jede Art politisch motivierter Einmischung
abzuwehren. So hat das Vereinigte
Königreich gerade
eben erst
ein unabhängiges justizielles Ernennungsgremium geschaffen,
während Deutschland – auch
wenn ich zurzeit einige Verbesserungen vorschlage – bisher nur für die Ernennung der
höchsten Bundesrichter
über einen solchen Mechanismus verfügt. Dennoch ist das von
der öffentlichen
Meinung mitgetragene „Klima“ der Unabhängigkeit der Richterschaft
in beiden
Ländern sehr solide – ebenso auch in Frankreich. In der Russische
Föderation scheinen
demgegenüber alle notwendigen gesetzlichen Strukturen vorhanden zu
sein, nur
habe ich angesichts der weiter oben besprochenen Fälle
[161]
den Eindruck, dass Richter immer noch recht starkem Druck ausgesetzt
sind, der
ihre Unabhängigkeit bei Entscheidungen in einzelnen Fällen in
Frage stellt und
zur Aufrechterhaltung einer Arbeitsatmosphäre beiträgt, die
mit einer ständigen
„Probezeit“ verglichen werden könnte, da die Laufbahnentwicklung
der Riichter
und sogar ihre Weiterbeschäftigung davon abhängen, dass sie
„wie erwartet
funktionieren“. Wenn Strafverfahren fast immer zur Verurteilung
führen müssen,
wie es in der Russische Föderation nach wie vor der Fall ist,
unterliegt die
Machtfülle der Staatsanwälte – die
eine weitaus geringere Unabhängigkeit von politischen
Stellen genießen –, Menschen hinter Schloss und Riegel zu
bringen, fast gar
keiner Kontrolle. 136.
In Frankreich ist das Gleichgewicht zwischen
um jeden Preis
auf ihre Unabhängigkeit bedachten Richtern, in eine strenge
Hierarchie eingebundenen
Staatsanwälten und Verteidigern, die in der Ermittlungsphase eine
sehr
begrenzte Rolle spielen, stark gefährdet. Mich beeindruckte zwar
die Statur der
mit mir zusammengetroffenen Staatsanwälte wie auch ihr esprit
de corps als integrierender Bestandteil eines unabhängigen
Strafrechtssystems, doch könnte es sich wirklich als notwendig
erweisen, die Unabhängigkeit
der Strafverfolger im Rahmen des allgemeinen Reformpakets zu
stärken, das
zurzeit ausgearbeitet wird und demzufolge wichtige Funktionen, die
gegenwärtig
vom dem juge d’instruction wahrgenommen
werden, der Staatsanwaltschaft übertragen werden können. Ein
ebenso wichtiger
Teil dieses Pakets sollte die Stärkung der Rolle der Verteidiger
sein, indem
diese in der Ermittlungsphase mehr Aktenzugang erhalten und mehr Mittel
für
Prozesskostenhilfe bereitgestellt werden. Diesen Weg hat Deutschland
eingeschlagen, als mehr kontradiktorische Elemente in das
Strafverfahren
eingeführt wurden – auch wenn die begrenzten Mittel für
Prozesskostenhilfe immer
noch ein ungelöstes Problem darstellen. IV.
Folgen für die
Umsetzung der Übereinkommen des Europarats 137.
Wie schon in der Entschließung zu
diesem Bericht erwähnt wurde, erfordert
die justizielle Zusammenarbeit
zwischen Mitgliedstaaten des Europarats, auch in Fragen der
Auslieferung, der
Beweisverfahren usw., wie dies in den einschlägigen
Europaratsübereinkommen
vorgesehen ist, ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen. Eine
effektive Zusammenarbeit
setzt das Bestehen eines
vergleichbaren Maßes an rechtlichen Garantien der
Unabhängigkeit und der
Professionalität in allen beteiligten Staaten voraus. 138.
Die Konventionen über gegenseitige
Rechtshilfe oder
Auslieferung legen fest, dass die Hilfe zu verweigern ist, wenn die
zugrundeliegende Strafverfolgung dazu dienen soll, jemanden wegen
seiner „Rasse, Religion, Nationalität oder
politschen Ansichten zu bestrafen oder dass die Stellung der
betreffenden
Person aus einem dieser Gründe gefährdet sein kann.”[
162] 139.
Wie wir bei in diesem Bericht geprüften
konkreten Beispielen
gesehen haben, geht es nicht um eine rein hypothetische
Möglichkeit. Ich bin
überzeugt, dass es in solchen Fällen, wenn es sich zum
Beispiel um derzeitige
und frühere Mitarbeiter und Anwälte, die für Jukos oder
HSBC/Hermitage tätig
waren, dreht, es falsch wäre, jemanden auszuliefern, der das Land
rechtzeitig
verlassen konnte. Ich habe großen Respekt für Herrn
Chodorkowski und Herrn Lebedew,
die es ablehnten, die Russische Föderation zu verlassen, als sie
dies noch
gekonnt hätten und die sich bereit fanden, sich einem Verfahren zu
stellen, um
ihre Unschuld zu beweisen, ungeachtet der ihnen bewussten Gefahr einer
unfairen
Behandlung. Ein solcher Mut und eine derartige Opferbereitschaft
können
allerdings nicht von jedem erwartet werden. 140.
Das Forum für die Erörterung der
Frage, ob es einen Grund zur
Verweigerung iunternationaler Zusammenarbeit
gibt, sind Gerichte außerhalb des Staates, in dem die behauptete
Manipulation
des Strafrechtssystems stattgefunden haben soll. Zwar gehen die
Mitgliedstaaten
zuerst einmal davon aus, dass die Signatarstaaten der Konvention nach
deren
Bedingungen in gutem Glauben gehandelt haben, doch zeigt allein schon
das
Bestehen von Ausschlussklauseln wie der oben zitierten, dass diese
Annahme widerlegbar
ist. 141.
Im Laufe der letzten Jahre haben es Gerichte
in vielen Mitgliedstaaten
des Europarats abgelehnt,
Personen
auszuliefern, die von den russischen Behörden gesucht wurden –
neben
zahlreichen mit Jukos verbundenen Fällen [163]
bestanden auch bei Flüchtlingen aus Tschetschenien Zweifel – die
nach meiner
Meinung nach wie vor sehr begründet sind –, was die Fairness ihrer
in der Russischen
Föderation vorgesehenen Prozesse angeht. Die sehr reale
Möglichkeit, dass eine
bestimmte Anzahl schwerer Verbrechen schuldiger Personen ihrer
gerechten Strafe
entkommen können, weil westliche Gerichte weiterhin dem russischen
Strafrechtssystem misstrauen,
[164]
sollte einen starken Anreiz dafür abgeben sicherzustellen, dass
die diesem
Misstrauen zugrundeliegenden Ursachen durch einen echten „Klimawandel“
in der
gesamten russischen Judikative beseitigt werden – nicht
durch die Errichtung
„Potemkinscher Dörfer“, in denen Gestalt und Form
europäischer Standards
richterlicher Unabhängigkeit imitiert werden, wie die
Venedig-Kommission dies
auf unser Ersuchen treffend zusammengefasst hatte,
[165]
ohne jedoch deren Geist umzusetzen. 142.
Die einschlägigen Konventionen des Europarats reichen in eine Zeit
zurück, in der die politischen
und justiziellen Systeme der Mitgliedstaaten weitaus
gleichförmiger waren. Hier
mag eine Aktualisierung erforderlich sein, um zu gewährleisten,
dass sie unter
den heutigen Vehältnissen noch effektiv sind. Das gilt auch
für die bestehenden
Europol- und Interpol-Mechanismen, die möglicherweise
überarbeitet werden
müssen, um zu gewährleisten, dass sie nicht für
politisch motivierte Verfolgungen
missbraucht werden können. V.
Schlussfolgerungen 143. Meine
Schlussfolgerungen werden in dem Text
der Entschließungsentwurfs (obiger Teil A)
zusammengefasst. Der Text
beginnt mit einer eindeutigen Verurteilung aller politisch motivierten
Missbräuche
des Strafrechtssystems und legt anschließend dar, dass in der
richterlichen Unabhängigkeit
der Schlüssel zur Verhinderung einer unangemessenen Einflussnahme
liegt. Der an
alle Mitgliedstaaten gerichtete Text erinnert an die einschlägigen
europäischen
Standards, wie die Venedig-Kommission sie vorgelegt hat. Danach fasst
der
Entschließungsentwurf die Lage in den vier als Beispiele
ausgewählten Staaten (Vereinigtes
Königreich, Frankreich,
Deutschland
und Russische Föderation) zusammen und richtet spezifische
Empfehlungen an
diese Länder, um die festgestellten Unzulänglichkeiten zu
beseitigen. Abschließend
geht der Entschließungsentwurf auf Empfehlungen an andere Organe
des Europarats
sowie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berichtender Ausschuss: Ausschuss für
Recht und Menschenrechte Ausschussreferenz: Dok 11404, Referenz-Nr. 3385 vom 23. November
2007 Entschließungsentwurf
im Ausschuss am
23. Juni 2009
einstimmig angenommen Ausschussmitglieder: Frau Herta Däubler-Gmelin
(Vorsitzende), Herr Christos Pourgourides,
Herr Pietro Marcenaro, Herr Rafael Huseynov (stellvertretender
Vorsitzender), Herr
José Luis Arnaut, Frau Meritxell
Batet Lamaña,
Frau Marie-Louise
Ausschusssekretariat:
Herr Drzemczewski, Herr Schirmer, Frau
Heurtin [1] AS/Jur (2008)
31. [2] Siehe z.B. A.
Sanders und R. Young, Criminal Justice,
3. Aufl., 2007, S. 11. [3]
Siehe J. Hatchard, B. Huber und R. Vogler,
Comparative Criminal Procedure, 1996. [4]
Neben [5]
The Code for Crown Prosecutors, Crown
Prosecution Service, November 2004, verfügbar unter: www.cps.gov.United Kingdom [6]
Judicial Appointments Commission, Annual
Report and Accounts 2007/08, Selecting on Merit and Encouraging
Diversity, The
Stationary Office, 10. Juli 2008 (S. 3). [7]
Siehe Dok. 11767 (2009 ) (Berichterstatter: Herr
Christopher Chope, Vereinigtes
Königreich, EDG). [8]
Unterhaus, Verfassungsausschuss, Verfassungsmäßige
Rolle des Attorney General, Fünfter Bericht der Periode 2006-07,
Bericht zusammen
mit dem förmlichen Protokoll sowie mündlichen und
schriftlihen Belegen, 17.
Juli 2007. [9]
Ibid., S. 3. [11] http://www.telegraph.co.UK/news/UKnews/1535683/Halt-inquiry-or-we-cancel
Eurofighters.html [15] R (on the
application of Corner House
Research and others) v Director
of the Serious Fraud Office [2008] EWHC 714 (Admin). [18] R (on the application of Corner House Research) v
Director of
Serious Fraud Office [2008] [19]http://www.independent.co.UK/news/UK/politics/ [21] The Government’s
response to the Constitutional Affairs Select Committee Report on the
Constitutional Role of the Attorney General, presented to Parliament by
the
Attorney General, April 2008. [22] Antwort der
Regierung (Ziffer 21), S. 3. [23] Antwort der
Regierung (Ziffer 21), S. 5-6. [24] Siehe
die obigen Ziffern 16 ff. [25] Siehe außerdem
J.-Y. [26] Der
ehemalige Justizminister Robert Badinter hat das Bonmot
geprägt, der juge
d’instruction vereinige in sich die Funktionen von Maigret und
Salomo. [27] Artikel 30 ff. [28] Verordnung Nr.
58-1270 v. 22. Dezember
1958 portant loi organique relative au
statut de la magistrature, version consolidée au 9
décembre 2007 (insbesondere
die Artikel 5, 48, 59, 65 und 66). [29] Das ist der Kern des traditionellen
französischen Spruchs „la plume est serve, mais la
parole est libre“
(die Feder dient, doch das Wort ist frei). [30] Kapitel II
und III der Verfassung v. 4. Oktober 1958 nach dem Stand vom
23. Juli
2008, unter : [31]
Kapitel IV der Verfassung (Anmerkung 30). [32]
Kapitel VIII der Verfassung (Anmerkung 30). [33] Sowohl
die Union Syndicale de la Magistrature
(USM), die rund zwei Drittel der Richter und Staatsanwälte
vertritt als auch
das kleinere, sozialistisch orientierte Syndicat
de la Magistrature (SM) verwenden eine sehr harte Sprache wie mise au pas (Gleichschaltung) oder
caporalisation (Militarisierung),
mit denen
normalerweise ein militärischer Kadavergehorsam beschrieben wird. Ein
oft zitiertes Beispiel sind die Staatsanwälte am Gericht in
Nantes, die von
ihrem Generalstaatsanwalt vorgeladen wurden, um zu erläutern,
weshalb sie bei
der Rede der Gerichtspräsidentin während der
öffentlichen Zeremonie zur
Eröffnung des Gerichtsjahrs applaudiert hatten, bei der die
Präsidentin die
Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit hervorgehoben hatte.
Ebenso wurden
angeblich auch regionale Generalstaatsanwälte zu Erklärungen
darüber
aufgefordert, weshalb die Urteile in ihrem Gerichtsbezirk bei der
Anwendung der
Mindeststrafen (peines plancher) für Wiederholungstäter, wie das Gesetz vom
10. August 2007 sie eingeführt hatte, unter den Vorgaben
geblieben waren. [34] Am 20. Februar 2008 legte Jean-Marie
Coulon der Justizministerin
einen detaillierten Bericht zu diesem Thema vor http://www.ladocumentationfrancaise.fr/rapports-publics/084000090/index.shtml [35] Reuters, 4. September 2007, 12h12
zitiert die
Fernseherklärung der Justizministerin wie folgt: „Die Gerichte
sind bei ihren
Urteilen unabhängig (…), aber ich verfüge über
Befugnisse im Hinblick auf die
Anwendung der Gesetze und die Strafrechtspolitik. Ich stehe an der
Spitze der
Strafverfolgung. Was heißt das? Ich bin die Vorgesetzte der
Staatsanwälte, die
dazu da sind, die Gesetze und eine Strafrechtspolitik anzuwenden. (…)
Die
oberste Legitimität liegt bei den Franzosen, die [Nicolas Sarkozy]
wählten, um
die Autorität wiederherzustellen. Richter und Staatsanwälte
sprechen Recht im
Namen dieser obersten Legitimität.” (Nichtoffizielle
Übersetzung) [36] Bei einer Meinungsumfrage im Auftrag des CSM
zur Erfassung
des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Gerichtswesen waren 51%
der Ansicht,
die Gerichte seien nicht von der Politik unabhängig. Die
Judikative steht beim
Vertrauen der Öffentlichkeit (hinter den Krankenhäusern, den
Schulen, der
Armee, der Polizeit und der Beamtenschaft) an sechster Stelle (siehe „’le sondage qui juge les juges“), [37] Zum Beispiel die Ermittlungsrichter Eva Joly
(Elf, Fall der
taiwanesischen Fregatten; siehe La
Force qui nous manque, éditions Les
Arènes, 2007) und ihren Artikel in Le Monde vom
15. Januar 2009, in
dem sie sich gegen den Reformvorschlag zur Abschaffung der Funktion des
Untersuchungsrichters ausspricht), Renaud van Ruymbeke (Fall
Clearstream; siehe
Fabrice Lhomme, Renaud Van Ruymbeke, le juge, Editions
Privé, 2007) Eric
Halphen (Sozialwohnungsfälle in Paris und den Hauts-de-Seine;
siehe Sept ans
de solitude, Essay, Editions Gallimard). [38] Siehe Florence Samson, Outreau et
après, la justice
bousculée par la commission d'enquête parlementaire,
l'Harmattan,
2006 ; Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses
unter http://www.assemblee-nationale.fr/12/rap-enq/r3125-t1.asp [39] €
3 020 104 244 (Quelle: 2008 Report on the European
Judicial
Systems, European Commission for the Efficiency of Justice (CEPEJ),
Dokument
CM(2008) 127 Addendum 2 vom 1. September
2008). [40] €
3 350 000 000 (darunter € 303 000 000 für
Prozesskostenhilfe). [41] Die
oben erwähnte (Anmerkung 39) vergleichende Studie der CEPEJ
macht
deutlich, dass die den französischen Gerichten zur Verfügung
stehenden Mittel
in der Tat mit die niedrigsten in den Mitgliedstaaten
des Europarats sind,
bedenkt man die Zahl der Richter und Staatsanwälte auf
100 000 Einwohner, das Assistenzpersonal je Richter und Staatsanwalt, die
Prozesskostenhilfe und nicht zuletzt auch die Bezüge der
Richter und Staatsanwälte in Prozent des
Durchschnittseinkommens des
betreffenden Landes. [42] Der
über den Schutz der Freiheitsrechte und die Ingewahrsamnahme
entscheidende
Richter. [43] Gesetz
Nr. 2000-516 vom 15. Juni 2000 zur Stärkung der
Unschuldsvermutung und der
Rechte der Opfer. [44] Siehe
die Mitteilung des Büros der USM vom
7. Januar 2009. [45] Siehe
die Anwaltskammer von Lyon, «Faut-il supprimer le
juge d'instruction? Le Barreau de Lyon réagit à la
proposition du Président de la République visant à
supprimer la fonction du
Juge d'Instruction», unter : http://www.barreaulyon.com/fr/Le-Barreau-de-Lyon/Actualites/Faut-il-supprimer-le-juge-d-instruction; [46] Siehe
die obige Ziffer 41. [47] Siehe
den Zwischenbericht vom 6. März
2009, 4. Vorschlag: guarantee and strengthen the rights of the victim
and of
the suspect throughout the investigation, und 5. Vorschlag:
strengthen the
respect for individual rights and freedoms during the preparatory phase
of the
criminal proceedings. [48] USM/SM/AFMI,
[49] Die Etats
Généraux (Generalstände) werden von
verschiedenen Berufsverbänden
organisiert, die Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte,
Anwälte, Juristen an
Universitäten und Parlamentarier vertreten. Auf einer für Ende Juni 2009
vorgesehenen weiteren Plenartagung werden die Ergebnisse der nationalen
Anhörungen erörtert werden. [50] Ein
Beispiel, das die Richterschaft besonders
verärgert hat, ist der Fall von Bernard Blais, dem
Generalstaatsanwalt am
Appellationsgericht von Agen, der stark unter Druck gesetzt wurde, acht
Monate
vor seiner Pensionierung seine Versetzung zu beantragen. Die
Justizministerin rechtfertigte ihr Vorgehen mit der Notwendigkeit,
Stellen für
Frauen freizumachen, um auf der Ebene der Generalstaatsanwaltschaften
für
Gleichheit zu sorgen. Alle 21 Richter und Staatsanwälte
des Appellationsgerichts Agen beschlossen einen Antrag zur
Unterstützung von
Herrn Blais und erklärten, die „absurde“ Entscheidung verdeutliche
„den Willen
der politischen Stellen, die Staatsanwaltschaft zu schwächen, um eine justizielle Institution unter ihre
Kontrolle zu bringen, deren Unabhängigkeit stört“. (Herr
Blais selbst gelangte in
einem offenen Brief vom 13. Dezember 2007 wie auch die beiden
wichtigsten
Richterverbände USM und SM in einem außergewöhnlichen
gemeinsamen Kommuniqué [Reuters,
4. Oktober 2007] zu der gleichen Schlussfolgerung). Der CSM gab
eine
negative Stellungnahme ab, doch die Ministerin gab sofort bekannt, sie
werde
dem keine Rechnung tragen [AFP, 30. Oktober 2007]. [51] Gesetz vom
23. Juli 2008 zur Änderung der Verfassung; ein loi
organique (Verfassungsergänzungsgesetz), in dem die
Änderungen
detaillierter dargestellt werden, lag bei der Abfassung dieses Berichts
noch
nicht vor. [52]
Fünf Richter und ein Staatsanwalt, die sich
mit richterlichen Angelegenheiten befassen und umgekehrt
staatsanwaltliche
Fragen behandeln. [53] Der CSM
tritt für Parität ein, wie mir mein
CSM-Gesprächspartner Jean-Michel Bruntz mitteilte. Die
Berufsverbände
befürworten eine Mehrheit von Richtern und Staatsanwälten; siehe z.B. USM
Flash Info Nr. 379 vom 10. März 2008. [54] Siehe
die Empfehlung R 94-12 des Ministerkomitees des Europarats vom 13. Oktober
1994; Europäische Charta über die Rechtsstellung der
Richterinnen und Richter
(Juli 1998); Stellungnahme Nr. 10 des Beirats
Europäischer Richter
beim Ministerkomitee des Europarats (November 2007). [55]
Verwaltungsgerichte: 8 Richter, 2 Vertreter
des Staates und 3 von dem Staatspräsidenten und den
Präsidenten der beiden
Häuser des Parlaments ernannte Laienmitglieder
(Artikel L 232-2 des
Verwaltungsgesetzbuchs); Rechnungshof: 14 Richter und
3 von den
politischen Stellen ernannte Laienmitglieder (Artikel L112-8 des
Code des
Juridictions Financières – Finanzgerichtsbarkeitsordnung). [56] Studie
Nr. 494/2008, CDL(2009)055, Draft report
on the independence of the judicial system: Part I: the independence of
judges,
approved by the Sub-Commission on the Judiciary in Venice on 12 March
2009 and
debated at the June 2009 Plenary Session, on the basis of comments von
Herrn G.
Neppi Modona (Italien), Frau A. Nussberger (Deutschland), Herrn H.
Torfason
(Island) und Herrn W. Sorkin (Russland); im Folgenden zitiert als:
Studie der
Venedig-Kommission. [57] Der
Europäische Gerichtshof für [58] Siehe
die Ziffern 40 ff. [59] §§
146 und 147 Gerichtsverfassungsgesetz. [60]
Festgelegt in § 152 StPO
(Strafprozessordnung). [61]
Strafvereitelung im Amt,
§ 258a StGB
(Strafgesetzbuch). [62] Es heißt, es dürfe keinen
„ministerialfreien
Raum“ geben. [63] Während meiner Amtszeit als
Justizministerin habe ich diese Möglichkeit nie in Anspruch
genommen. [64] Siehe den von dem Deutschen
Richterbund vorgeschlagenen Gesetzentwurf zur Änderung von
Titel 10 des
Gerichtsverfassungsgesetzes,
§ 47 Abs. 3 sowie den erläuternden
Bericht (S. 9-11), verfügbar (in deutscher Sprache) auf der
Website des
DRiB. [65] Der Amtsermittlungsgrundsatz
ist in den §§ 160 und 244 II StPO niedergelegt. [66] Der oben
erwähnten CEPEJ-Studie zufolge (Ziffer 39) wandte Deutschland
€ 557 Mio. an Prozesskostenhilfe auf, im Vergleich mit
€ 303 Mio. in Frankreich und € 3 Mrd. in
England und
Wales. [67] Siehe das „Zwei-Säulen-Modell“, das der Deutsche Richterbund in seiner
Entschließung vom 27. April 2007 befürwortete und
auf seiner Website
unter http://www.drb.de/cms/fileadmin/docs/sv_modell_070427.pdf
darstellt. [68] Zu der deutschen Delegation gehört
mittlerweile auch ein
Vertreter des Deutschen Richterbunds. [69] Auf einer Tagung am 11. Mai 2009 in
Berlin über das
Thema „Die Justiz braucht starke Gerichte“, die gemeinsam von der
Friedrich-Ebert-Stiftung,
dem Deutschen Richterbund und dem Bundesjustizministerium organisiert
wurde (verfügbar
auf der Website des Bundesjustizministeriums, http://www.bmj). [70] Neben
meinen ständigen Kontakten mit der deutschen Richterschaft habe
ich im Hinblick
auf die Erarbeitung des vorliegenden Berichts am 11. Juni 2009 in
Berlin
besondere Treffen mit dem Vorsitzenden des Verbandes deutscher Richter
und
Staatsanwälte, Herrn Christoph Frank, mit Dr. Heide Sandkuhl,
Mitglied des
Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins (DAV), Dr.
Hans-Holger
Herrnfeld, Abteilungsleiter für internationales Strafrecht,
europäische und
multilaterale Zusammenarbeit
im
Bundesjustizministerium sowie mit Frau Sabine Hilgendorf-Schmidt,
Leiterin der
Abteilung für die Rechtsstellung, Vergütung und Fortbildung
von Richtern im
Bundesjustizministerium, geführt. [71]
Christos Pourgourides teilte mir mit, er habe diesen Standpunkt im
Namen der Versammlung auf der Sitzung der
Venedig-Kommission vom 12. Juni 2009 nachdrücklich
vorgetragen, bei
der es um die Annahme der Stellungnahme zu
europäischen Standards für die
Unabhängigkeit der Gerichte ging und
die unser Ausschuss in Verbindung mit der Erarbeitung des vorliegenden
Berichts
angefordert hatte. [72] Siehe
die obige Ziffer 14. [73] Die Praxis der „Deals“ (das gleiche Wort wird
auch im
Deutschen verwendet) hat sich informell herausgebildet. Der
föderale Gesetzgeber
hat vor kurzem versucht, diese Praxis zu regulieren und bestimmte
Grenzen
einzuführen. [74]Siehe die für das World Factbook of Criminal Justice Systems erstellten Länderberichte [75] Siehe außerdem
M. Joutsen, Albania,
B. Tankov, Bulgaria, Karabec,
Dibilová und Zeman, Czech Republic,
Horvatic und Derencinovic, Croatia,
G. Svedas, Lithuania,
A. Viasceanu und A. Dorobant, Romania
sowie K.G. Sugman, M. Jager, N. Persak und
K. Filipcic, Slovenia (alle National Criminal
Justice
Profiles sind bei HEUNI erschienen). [76] Siehe zum Beispiel
R.J. Terrill, World Criminal Justice
Systems – A Survey, 5th ed.,
2003 und W.J. Wagner, „The Russian Judicature Act of 1922 and Some
Comments on the Administration of Justice in the Soviet Union“, (1966)
41 Indiana LJ 420. [77] Ich hörte das
Bonmot, im
Sowjetsystem habe der Generalstaatsanwalt nur das Politbüro
über sich gehabt,
und nun gebe es kein Politbüro mehr. [78] Vom 1. Juni 2009 (auf
russisch). [79] Auf
Einladung des Gerichtspräsidenten Lebedew
nahm ich mit großem Interesse an der Plenarsitzung des Obersten
Gerichtshofs
der Russischen
Föderation teil, bei der es um die Prüfung
von Vorschlägen zur Ersetzung der Untersuchungshaft durch andere
Sicherungsmaßmnahmen ging. Der Oberste
Gerichtshof scheint sich dieses
Problems durchaus bewusst und grundsätzlich bereit zu sein, nach
Urteilen des
Europäischen Gerichtshofs für [80] Herr
Chodorkowski war in seinem ersten Prozess
zu 9 Jahren Haft verurteilt worden. [81] Andere
Experten waren der Ansicht, das
Gesetz sei ursprünglich dafür maßgeschneidert worden,
dem neuen Präsidenten bei der Lösung des
„Chodorkowski-Problems“ zu helfen. Es
hätte seine Freilassung in absehbarer Zukunft verlangt, ohne dass
es einer
potenziell konfliktreichen Begnadigung durch den Präsidenten
bedurft hätte. Das
in aller Eile eingeleitete neue Verfahren und das „Einfrieren“ des
entsprechenden Gesetzesentwurfs werde als Maßnahme der
„Anti-Chodorkowski-Gruppierung“ gewertet. [82] Er erklärte, er
habe
5-10% der Anträge abgelehnt (in der Regel kommt es zu keinerlei
Ablehnungen),
weshalb er öfffentlich von der Präsidentin des Moskauer
Stadtgerichts, Frau
Jegorowa, kritisiert worden sei. Als er sich offen rechtfertigte,
warnte ihn
Frau Jegorowa, sie werde sich „seinen Namen merken“. [83] Herr Melichow
erklärte, er habe in 300-400 Fällen
7 Freisprüche verkündet (wobei
die Regel einmal mehr 0 Freisprüche seien). Außerdem
habe er einen Stapel
von Unterlagen an die Verkehrspolizei zurückgeschickt, die die
Anklagen nach
einer früheren Gesetzesfassung erstellt hätten, ohne
einschlägige Änderungen zu
berücksichtigen. Die Polizei habe sich bei Frau Jegorowa
beschwert, die sich
anschließend bei seinem eigenen Gerichtspräsidenten beklagt
habe. [84] Nach der
Neuorganisation der Moskauer Gerichte
in den Jahren 2003 und 2004 war er einer von 13 Richtern, deren
Namen
nicht in dem Präsidialerlass auftauchten, durch den alle Richter
ihren neuen
Gerichten zugewiesen wurden. Nach
drei Monaten kam es zu einer Anhörung vor dem
Qualifizierungskollegium, und 10 von ihnen (darunter Herr Melichow)
wurden
aufgefordert, ihr Amt gegen lebenslange Fortzahlung von 80% ihres
Gehalts
niederzulegen. Herr Melichow lehnte dieses Angebot als einziger ab, da
er
glaubte, nichts zu befürchten zu haben: Er hatte keine
Gesetzesverstöße
begangen, war vor seiner Einstellung auf Lebenszeit hervorragend
bewertet
worden, und die kleine Zahl von Urteilen, die Frau Jegorowa
(nicht seine
direkte Vorgesetzte) für zu “weich” befunden hatte und die bis
1998
zurückreichten, waren alle in Kraft getreten (d.h. gingen nicht in
die Berufung
oder blieben bestehen). Er hatte sich
sogar mit seinem ersten Einspruch gegen das Qualifizierungskollegium
durchgesetzt. Nach seiner Wiedereinsetzung wurde er erneut von Frau
Jegowowa
aus dem Amt entfernt und scheiterte danach mit seinen weiteren
Einsprüchen. Ein
Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für [85] Ich
begegnete ihr bei meinem
Fact-finding-Besuch 2003 in Moskau. als es um den Bericht über das
Verfahren
gegen leitende Jukos-Manager ging (siehe Dok. 10368, Ziffer 61,
Anmerkung 13). [86] Im
Gegenwert von € 50. [87] Einen
Monat später schoss in der Tat ein Unbekannter
auf ihr Haus, doch die Polizei lehnte die Einleitung eines Verfahrens
ab, weil
der (durch eine Schrotflinte) verursachte Schaden zu geringfügig
war. [88] Frau
Jegorowa. [89] Frau Kadyrowa
erklärte, die Unterschrift ihres Mannes sei auf 20
gefälschten Dokumenten
gefunden worden. Der Handschriftenexperte des Gerichts habe
festgestellt, dass
15 dieser Unterschriften eindeutig gefälscht worden waren,
während er bei drei
nicht sicher gewesen sei und zwei für echt befunden habe. Das
Gericht hatte
alle Anträge auf ein zweites Gutachten, darunter auch durch eine
sehr
renommierte Graphologin, Frau Wolodyna, zurückgewiesen, obwohl
diese Expertin
die Unterschriften auf den ersten Blick als Fälschung erkannt und
drei Tage vor
dem Gerichtssaal gewartet hatte, um aussagen zu können. Die
Betrüger selbst
hatten andere Richter als ihre Komplizen benannt, aber ganz kategorisch
Richter ??? (Original nicht verständlich! Anm.d.Üb.)
entlastet,
obwohl einem von ihnen im Tausch gegen eine Aussage gegen ihn ein
„Deal“
angeboten worden war. [90] Z.B. systematische
Ablehnung von Anträgen der Verteidigung zur Anforderung von
Beweismaterialien;
Zurückweisung aller Anträge der Verteidigung, das
Verhandlungsprotokoll zu
berichtigen – auch in einem Fall, in dem die
Staatsanwaltschaft genau den
gleichen Antrag gestellt hatte und damit bei dem Gericht durchgekommen
war;
künstliche Abtrennung der Verfahren gegen die angeklagten Richter
von denen der
übrigen Betrüger, die schon vor Beginn des Prozesses gegen
die Richter
verurteilt worden waren – eine Taktik zur
Torpedierung der
Rechte der Verteidigung, wie sie auch zurzeit in dem Prozesse gegen
Herrn
Chodorkowski und Herrn Lebedew angewandt wird (siehe Ziffer 95
weiter
unten); Abstützen auf die Aussagen entscheidender Zeugen der
Anklage in einem
gesonderten Strafverfahren und während der Vorermittlungen statt
auf die
Aussagen eben dieser Zeugen während des Verfahrens selbst. [91] Da es Herrn ??? (Original
nicht verständlich! Anm.d.Üb.) gesundheitlich noch recht
gut geht, hat er
keine vorrangige Behandlung seines Falls durch den ohnehin
überlasteten
Straßburger Gerichtshof beantragt. [92] Natalja Krainowa,
„Judge Tells of Kremlin Threat“, Moscow Times, 14. Mai 2008. [93] Solowjow hatte in dem
Programm Solovinije Treli des
Radiosenders Serebrjany Doschd
erklärt, es gebe „keine unabhängigen Gerichte in Russland“,
dagegen aber „von
Bojew abhängige Gerichte“, „von eben jenem Bojew, der dem Oberen
Schiedsgericht
Weisungen erteilt“. [94] Die Zeitung Kommersant (Artikel von Olga Pleschanowa,
in: Kommersant Nr. 79 vom 13. Mai 2008) veröffentlichte einen
Auszug aus
der Zeugenaussage von Frau Waljawina. Sie hatte vor dem Gericht
erklärt, Bojew habe
sie im Herbst 2005 gebeten, ihr Urteil zu ändern, in dem es um das
rechtmäßige
Eigentum an einem Aktienpaket von Toljatti-Asot, dem größten
Ammoniakhersteller
des Landes, ging. Sie sagte, Bojew habe seine Drohung ausgesprochen,
als sie
sich weigerte, Folge zu leisten. Außerdem teilte sie dem Gericht
mit, Bojew „als
Vertreter der Präsidialverwaltung (nehme) an den Sitzungen des
Oberen
Qualifizierungsgremiums für Richter teil“. [95] Siehe zum Beispiel
„An
ex-judge from Samara is trying to restore her position through the
Strasbourg
court“, IA Regnum, 23. Juni 2008, unter: http://www.regnum.ru/news/1018369.html [96] Siehe zum Beispiel
Aleksandr Odinzow, „Waiting for a new court“, Iswestija,
1. September 2006, unter: http://www.compromat.ru/main/titov/smarts.htm [97] „Strasbourg check-up
on soundness“, in: Parlamentarskaja Gaseta Nr. 43-44 (2295-6). [98] Andrei Kulikow, Nesawisimaja Gaseta, 1. Juli 2008, unter: http://www.ng.ru/politics/2008-07-01/4_femida.html [99] Siehe Wladimir
Solowjow, „The judicial desert. The European Court of Human Rights
has received for consideration and is checking the legality of the
dismissal of
Judge Kostyuchenko for her decisions on Togliatti-Azot”, Treli.ru
24. Juni 2008, unter: http://www.compromat.ru/main/mix/mahlaykostuchenko.htm;
Solowjow behauptet, er habe Kopien des Protokolls der Sitzung des
Qualifizierungskollegiums vom 1. Februar 2006 bekommen, in denen
angeblich
auf Telefonabhörmaßnahmen verwiesen worden sei, was die
Beschwerden von
Richterin Kustjuschenko bestätigen würde. [100] Siehe European
Commission for the Efficiency of Justice (Europäische Kommission
für die
Wirksamkeit der Justiz, CEPEJ), European Judicial Systems, Edition
2008,
Tabellen 91 und 92: Zu Beginn ihrer Laufbahn verdienen Richter das
0,9fache
des Jahresdurchschnittsgehalts in Deutschland und liegen für
Frankreich beim 1,2fachen,
für Russland beim 3,2fachen und für das Vereinigte
Königreich) England und
Wales beim 4fachen. Erfahrene Richter verdienen das 2,1fache des
mittleren
Jahresgehalts in Deutschland, das 3,5fache in Frankreich, das 7,5fache
in
Russland und das 6,5fache im Vereinigten
Königreich. In den meisten
europäischen Staaten
erhalten Richter der unteren Gerichte das 2-3fache der nationalen
Durchschnittsgehälter und an den Obergerichten rund das Doppelte
davon. [101] Siehe die obigen Ziffern 57-59. [102] Siehe
Michail Falalejew, „Cleaning the Uniform. Rashid Nurgaliyev: There will
be no
more corrupt officials“, in: Rossiskaja Gaseta, 14. Oktober 2008, unter: http://www.rg.ru/2008/10/14/mvd.html [103] R. Vogler, A World View
of Criminal Justice, 2005. [104] Siehe
Christian Lowe, „Russian defence lawyers in hazardous profession“,
Reuters,
23. Juli 2007, unter: http://www.reuters.com/article/inDepthNews/idUnited
StatesL2171073820070723 [105]
Siehe Dok. 10368 (2005), „The circumstances surrounding the arrest
and
prosecution of leading Jukos officials“, Ziffern 20-42. [106] Einen Überblick mit Links zu
weiteren Artikeln gibt
„Times Topic“, NY Times, 19. Mai 2009, http://topics.nytimes.com/top/reference/timestopics/people/m/karinna_moskalenko/index.html;
Im April 2009 berichtete mir Frau Moskalenko in allen Einzelheiten
über diesen
Vorfall und den derzeitigen Ermitttlungsstand der französischen
Behörden. [107] Die Ermittlungen der französischen
Polizei sind noch nicht
abgeschlossen, doch scheint die zu Beginn aufgestellte These, der
Vorbesitzer
habe im Frühsommer in dem Auto ein Thermometer zerbrochen, unter
Berücksichtigung der Verdunstungsrate von flüssigem
Quecksilber nicht der im
Oktober in dem Fahrzeug festgestellten Menge zu entsprechen. [108] Siehe meine Erklärung zu diesem Vorfall
auf der Website der Versammlung
unter: http://assembly.coe.int/ASP/NewsManager/EMB_NewsManagerView.asp?ID=4527 [109] Ich hatte die PGO nach den Ergebnissen der
Ermittlungen über
den Angriff auf Herrn Ponomarjow gefragt, doch die Antwort
beschränkte sich auf
den Hinweis, es seien ein Verfahren eingeleitet und angemessene
Ermittlungsschritte ergriffen worden. [110] Den
Durchsuchungsbefehl besorgte, wie es heißt, ein interner
Ermittler, der dazu
gar nicht berechtigt war, da es sich bei dem Ziel der Durchsuchung um
eine Anwaltskanzlei
handelte. [111] Eine
merkwürdige Koinzidenz ist auch darin zu sehen, dass weniger als
eine Stunde
vor der Durchsuchung von Herrn Chairetdinows Räumlichkeiten in
ebendiesem Büro
ein verdächtiges DHL-Paket abgeliefert worden war. Die Sendung war
von einem
DHL-Depot im Süden Londons von zwei russisch sprechenden
Männern abgeschickt
worden, die bar bezahlten (wie dies anscheinend
Bilder von Überwachungskameras zeigen, die bei der Londoner
Polizei gespeichert
sind). Auf dem Paket war als Absenderanschrift fälschlicherweise
das Londoner
Büro von Hermitage Capital und als Absender eine fiktive Person
angegeben. Die
Sendung enthielt gefälschte Dokumente. Die Anwälte von
HSBC/Hermitage sehen
hierin den eindeutigen Versuch, Herrn Chairetdinov und seinen Mandanten
etwas „anzuhängen“. [112] Seinen Anwälten zufolge ist er in einer
überfüllten Zelle
mit Kakerlaken inhaftiert, in der sich mehr Insassen als Betten
befinden. Die
ganze Zeit brennt das Licht, es gibt bei der Benutzung der Toilette
keine
Privatsphäre, nur einmal die Woche kann 10 Minuten lang
geduscht werden,
die Zelle hat keine Lüftung, und nur für weniger als eine
Stunde am Tag kann
die Zelle für einen Aufenthalt auf einem geschlossenen Hof von von
3 x 5 Metern verlassen werden. [113] Entscheidung des Twerskoi-Bezirksgerichts in
Moskau auf
Antrag des Ermittlers O.F. Siltschenko vom 3. März 2009
(Kopie und Übersetzung
bei den Akten). Der Antrag beruht unter anderem auf der Notwendigkeit,
die
Suche nach Herrn William Browder zu intensivieren, dessen
Aufenthaltsort (in
London) den Behörden durchaus bekannt ist. [114] Siehe die obige Ziffer 66. [115] Fall Nr. 374015. [116] Fall Nr. 153123. [117] Unter: http://assembly.coe.int/CommitteeDocs/2009/20090127_DeclarationTchetchenie_E.pdf;
siehe auch die Erklärung des Berichterstatter für den
Nordkaukasus, Dick Marty
(Schweiz, ALDE), vom 20. Januar 2009 (unter: [118] Diese Rechtssache erinnert an den Fall
des Anwalts
Michail Trepaschkin, der wegen angeblicher Verletzung von
Staatsgeheimnissen
gerichtlich verfolgt wurde, um ihn daran zu hindern, seine Mandanten in
einem
besonders sensiblen Fall zu vertreten (siehe den Bericht von Herrn
Pourgourides
über „Fair trial issues in cases involving espionage and state
secrets“, Dok.
11031 (2007), Ziffern 36-39). [119] Siehe zum Beispiel die Besorgnisse des
Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen wegen Folter oder
Misshandlung,
insbesondere bei informellen Verhören auf Polizeiwachen, bei denen
kein Anwalt
dabeisein muss und der unterbliebenen Strafverfolgung von
Justizbediensteten in Concluding observations of the
Human
Rights Committee: Russian Federation, CCPR/CO/79/RUnited
States, 6.
November 2003. Siehe auch Fälle mit Verstößen gegen
Artikel 3 der
Konvention während eines Verhörs wie bei Maslowa
und Nalbandow gegen Russland, 839/02, 24. Januar 2008
und Mammadow (Jalaloglu) gegen
Aserbaidschan, 34445/04, 11. Januar 2007. [120] Siehe Dok. 10368 (Ziffer 86, weiter
oben), Ziffer 44. [121] Die
Generalstaatsanwaltschaft gibt die Verwendung dieser Taktik in ihrer
Antwort
vom 1. Juni 2009 zu und rechtfertigt sie mit ihrer Vereinbarkeit
mit
Artikel 154 der Russischen Strafprozessordnung. [122] Siehe
James Rodgers, BBC News, Moskau, 27. Mai 2008; Rossija
TV/Interfax/Russia,
11. Juni 2008. [123] Ich
nahm auch 2004 an einer Gerichtsverhandlung während des ersten
Prozesses gegen
dieselben Angeklagten teil (siehe Dok. 10368 (2007), Ziffern 44
und 47). [124] Ein
führender Rechtsberater von Jukos. Er wurde erst nach der dritten
entsprechenden
Verfügung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [125] Eine Mitarbeiterin der Rechtsabteilung,
die wegen
Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu sieben Jahren Haft verurteilt
wurde, gilt
weithin als „Geisel“ für die Flucht eines dienstälteren
Kollegen in das Vereinigte
Königreich. Sie ist Mutter mehrerer
Kleinkinder, von denen sie eines in Haft gebären musste (siehe http://www.rferl.org/articleprintview/1504658.html) [126] Eingang der Erwiderung (auf russisch) am
1. Juni 2009. [127]
Siehe ITAR-TASS-Meldung (Moskau) vom 2. Juni 2009
(Zitate von Herrn Lebedew und Herrn Moskalenko). [128] ITAR-TASS
(siehe die obige Fußnote 127) zitiert den Sprecher der
Generalstaatsanwaltschaft wie folgt: „Während
der Vorermittlungen wurde festgestellt, dass die Angeklagten, die in
einer
organisierten Gruppe tätig waren, an der die Hauptaktionäre
YUKOS OJSC sowie
andere Personen beteiligt waren, einen Diebstahl begingen, indem sie
vom
6. November (1997) bis zum 12. Juni 1998 Aktien von
Tochtergesellschaften der Eastern Oil Company OJSC im
Wert von 3,6 Mrd. Rubel unterschlugen, die gestohlenen Aktien der
Töchter
der Eastern Oil Company OJSC 1998-2000 in gleicher Höhe
legalisierten, Diebstahl
begingen, indem sie 1998-2003 YUKOS OJSC-Tochtergesellschaften
gehörendes
Öl wie auch Öl veruntreuten, das Samaraneftegas,
Yuganskneftegas und Tomskneft der
Eastern Oil Company OJSC gehörte, und zwar zu einem Betrag von
mehr als 892,4 Mrd.
Rubel, und einen Teil dieser Beträge 1998-2004 in Höhe von
487,4 Mrd.
Rubel und US$ 7,5 Mrd. legalisieren.” [129] Die
Generalstaatsanwaltschaft bezog sich in ihrer Antwort auf meine
schriftlichen
Fragen ganz abstrakt auf der rückwirkenden Pönalisierung von
Handlungen, die
zum Zeitpunkt ihrer Vornahme rechtmäßíg waren,
kommentierte jedoch nicht die
konkrete Frage der rückwirkenden Schließung des
Steuerschlupflochs. [130] Interessanterweise erklärte der
EGMR in seinem
Zulässigkeitsbeschluss vom 7. Mai 2009 in der Sache
Chodorkowski gegen
Russland (Beschwerde Nr. 5829/04) außerdem die Behauptung
der Verletzung
von Artikel 18 EMRK für zulässig (was implizite
bedeutet, dass der
Gerichtshof nicht die Möglichkeit eines Urteils ausschließt,
wonach die
Ingewahrsamnahme, die Haft und die Strafverfolgung von Herrn
Chodorkowski
politisch motiviert waren). [131] Aus Platzgründen habe ich den
zusätzlichen Anklagepunkt
des Betrugs zu Lasten von APATIT nicht aufgenommen. [132] Wladimir
Milow, der Präsident des Instituts für
Energiepolitik und früherer stellvertretender Energieminister der Russischen Föderation
Russian Federation, sprach diesen Punkt, wie
es heißt, wie folgt an: “… die Schlussfolgerungen des Ermittlers
beruhen
letzten Endes auf grundgelegend verfehlten Annahmen über den
prinzipiellen
Aufbau der modernen Ölindustrie… Ein Wirtschaftsstudent würde
herausgeworfen,
sollte er derartige Fehler machen.” (siehe „Questions and Answers about
the second
Trial of Mikhail Chodorkowski and Platon Lebedew“, Frage 3, unter:
http://www.Chodorkowskicenter.com/news-resources/stories/ [133] Siehe “Questions and Answers” (obige
Fußnote 132), Frage
3. [134] Die Entsprechung der 892,4 Mrd.
Rubel, die der
Sprecher des Generalstaatsanwalts erwähnte, obige Fußnote
128. [135] See „Questions and Answers“ (obige
Fußnote 132), Fragen
1 und 2. [136] Die Generalstaatsanwaltschaft bezieht
sich in ihrer
schriftlichen Antwort vom 1. Juni 2009 in abstrakter Form auf die
Vorschrift ne bis in idem, kommentiert jedoch nicht die
konkrete Frage,
dass die dem ersten Urteil zugrundeliegenden
Geschäftsvorgänge und die neuen
Anklagepunkte die gleichen zu sein scheinen. [137]
Siehe Dok. 10368 (2007), Ziffern 8-10. [138]
Siehe Dok. 10368 (2007), Ziffer 49, Fußnote
9. [139]
Einschließlich eines verurteilten Mörders (mir
liegen Kopien von Unterlagen vor, die ihre Vorstrafen bestätigen). [140]
Diese Forderungen wirken rechtlich wie
faktisch absurd appear (ich konnte in dies erhärtende Unterlagen
Einblick
nehmen). [141]
Zwei Anträge auf Erstattung von insgesamt
rund 1,8 Mrd. Rubel im
Hinblick auf Rilend wurden am
21. Dezember 2007 bei dem Finanzamt Nr. 25 gestellt und am
24. Dezember 2007 entschieden. Fünf Anträge zu Makhaon
und Parfenion über
insgesamt 3,7 Mrd. Rubel wurden am 24. Dezember 2007 bei dem
Finanzamt Nr. 28 gestellt und an demselben Tag bewilligt! Auch dazu habe
ich Beweisunterlagen einsehen können. [142]
Siehe zum Beispiel Francesca Mereu, Corporate
Raiders use Cash, Friends, in: Moscow Times, 13. Februar
2008 (unter: http://www.cdi.org/russia/johnson/2008-31-29.cfm). Der
Artikel ist eine ernüchternde Lektüre. Hier einige
Auszüge: „Firmenaufkäufer (Raider)
nutzen hier ihre Kontakte zur Bestechung von Beamten, um illegal
Unternehmen in
die Hand zu bekommen – oft um auf diese
Weise erstklassige Grundstücke zu erhalten. Zu den Raidern zählen
vielfach ehemalige
Geheimdienstler, Polizisten, Anwälte und Leute mit Verbindungen zu
hochgestellten Staatsbediensteten. Sie zahlen an Richter,
Staatsanwälte und
Verwaltungsmitarbeiter aller Ebenen. Über diese Kanäle
können die Raider eine
Firma durchsuchen, Informationen über den Inhaber sammeln und die
verschiedensten Dokumente fälschen lassen, die sie zur
Übernahme des
Unternehmens benötigen.
‚Leider arbeiten Raider
für das System, und
auf diesem Wege können sie alles fälschen, was sie nur haben
wollen’, erklärt
Gennadi Gudkow, der frühere Leiter einer Arbeitsgruppe, die sich
in der letzten
Duma mit dieser Frage befasste.
Es
liegen keine genauen Zahlen darüber vor, wieviele Angriffe von
Raidern jedes
Jahr vorkommen. Gudkow meinte, seine Arbeitsgruppe habe in Moskau rund
1 000 Fälle im Jahr erfasst und eine ähnliche Zahl
in der Region um
Moskau herum. Das sei jedoch nur „die Spitze des Eisbergs“. Die
tatsächlichen
Zahlen dürften nach seiner Einschätzung 4-5mal höher
liegen. In Medienberichten
wird für das gesamte Land von rund 70 000 Fällen
gesprochen.
Neben Moskau
und dem Umland der Hauptstadt sind die bevorzugten Ziele der Raider St.
Petersburg
und die Region des ehemaligen Leningrads. Immobilien erzielen dort
Spitzenpreise, und um die wenigen legal käuflichen
Grundstücke tobt ein
erbitterter Wettbewerb. Viele
für diesen
Bericht befragte Geschäftsleute, Polizeibeamte und andere
Staatsbedienstete
wollten sich nur anonym äußern, sprachen von einer heiklen
Thematik und
befürchteten Repressalien. Die Geschäftsleute baten
außerdem darum, ihre
ehemaligen Firmen nicht zu nennen. Sie erklärten, sie hätten
sich nicht bei der
Polizei, der Staatsanwaltschaft oder dem Inlandsgeheimdienst beklagt,
wohl sie
glaubten, die Raider stünden mit diesen Einrichtungen in
Verbindung.“ [143] In einem
Schreiben
vom 2. Mai 2009 (Kopie im Archiv) erklärt Premierminister
Gordon Brown,
die Regierung des Vereinigten
Königreichs
habe „den russischen Behörden weiterhin unsere Besorgnisse im
Hinblick auf
Herrn Browders Fall verdeutlicht und darauf verwiesen, dass er das
Vertrauen
britischer und anderer in Russland geschäftlich tätiger
Investoren
beeinträchtigen (könne) und dass es, solange komplexe
rechtliche Verfahren
ihren Gang gehen, darauf (ankomme), die Gesetze anzuwenden und ihre
faire und
strikte Anwendung vor Augen zu führen“. [144]
Siehe die obigen Ziffern 89-90. [145]
Siehe die obige Ziffer 66. [146]
Die Anwälte von HSBC/Hermitage haben mir
Kopien der Empfangsbescheinigungen zur Verfügung gestellt, aus
denen
hervorgeht, dass diese Beschwerden tatsächlich eingereicht wurden. [147]
Lew Ponomarjow wurde auf dem Heimweg von
unserem Treffen Opfer eines gewalttätigen Angriffs. Ich
brachte, sobald ich von dem Überfall gehört hatte,
öffentlich mein Entsetzen
zum Ausdruck (siehe: http://assembly.coe.int/ASP/NewsManager/EMB_NewsManagerView.asp?ID=4527) [148] Siehe meinen
Bericht über „Investigation
of crimes allegedly committed by high officials during the Kuchma rule
in
Ukraine: the Gongadze case as an emblematic example“, Dok. 11686
und Entschließung 1645 (2009) sowie
Empfehlung 1856 (2009). [149]
Entschließung 1551 (2007) und Empfehlung 1792
(2007); Dok. 11031. [150]
PACE Dok. 10368 http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/WorkingDocs/Doc04/EDOC10368.htm [151]
Siehe die obigen Ziffern 98 ff. [152]
Siehe die obige Ziffer 98, Fussnote 125. [153]
Siehe die obige Ziffer 98, Fussnote 126. [154]
Siehe die obige Ziffer 106. [155]
Siehe die obige Ziffer 86. [156]
Siehe die obige Ziffern 88 ff. [157]
PACE Dok. 11031 http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/WorkingDocs/Doc06/EDOC11031.htm [158]
Siehe die obige Ziffer 73. [159]
PACE Dok. 9926 http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/WorkingDocs/Doc03/EDOC9926.htm [160]
Siehe die obige Anmerkung 118. [161]
Siehe die Ziffern 69-76. [162]
Z.B. Artikel 3.2. des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens, SEV Nr. 024. [163]
Zum Beispiel das Urteil des Bow Street
Magistrates Court ( [164]
Ende 2008 übergab der russische Generalstaatsanwalt
unserer Ausschussvorsitzenden, Frau Däubler-Gmelin, eine lange
Liste
schwebender Auslieferungsanträge der Russischen Föderation an
das Vereinigte
Königreich, die
Frau Däubler-Gmelin mir für
die Erstellung des vorliegenden Berichts übergab. Ich
hatte vorgehabt, über die auf der Liste aufgeführten
Fälle zusätzliche
Informationen zu erlangen, um sie bei dem Treffen in Moskau mit der
Generalstaatsanwaltschaft zu erörtern, doch der Termin wurde
kurzfristig
abgesagt. [165] Siehe
Ziffer 51, Anmerkung 56.
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